So lange bin ich darum herumgeschlichen, jetzt steht er endlich vor mir – mein neuer Staubsaugerroboter. Erwartungsfroh schlage ich die Bedienungsanleitung auf und lese: „Hartnäckiger Schmutz und Verunreinigungen sind dem Saugroboter nicht gewachsen.“ Erster Interpretationsimpuls: „Oh, er schafft keinen hartnäckigen Schmutz.“
Natürlich meint der Satz das Gegenteil. Aber der Ausdruck „einer Sache (nicht) gewachsen sein“ betrifft normalerweise Menschen oder zumindest personalisierte Dinge. Er braucht ein Agens, ein handelndes Subjekt. Das ist beim Schmutz nicht der Fall. Deshalb liest man umgekehrt: Der Roboter ist hartnäckigem Schmutz nicht gewachsen.
Dass man Mühe hat mit der richtigen Interpretation, liegt jedoch nicht nur an der Redewendung, sondern auch an der Verneinung. Sie verkompliziert die Sache zusätzlich. Was das Problem mit den Verneinungen ist und wann sie trotzdem okay sind, will ich mir jetzt näher mit Ihnen anschauen.
Verneinungen erfordern mehr Hirnleistung
Was wäre die bessere Lösung in der Bedienungsanleitung gewesen?
Der Saugroboter beseitigt selbst hartnäckigen Schmutz und Verunreinigungen.
Hier wären die Verhältnisse klar gewesen: A beseitigt B. Man muss nicht erst eine komplizierte Denkleistung anstellen, um die Aussage richtig zu interpretieren.
Stellen wir uns jetzt folgende Hinweisschilder an einer Durchfahrt vor:
1) Nicht die Durchfahrt bei Rot befahren.
2) Bei Rot halten.
Was denken Sie – bei welcher Variante ist Ihr Fuß schneller auf der Bremse? Bei der 2, ganz klar. Denn dort haben Sie nur die Elemente Rot und halten. Bei Variante 1 müssen Sie erst das nicht mit dem befahren zusammenbringen. Die Wahrnehmung ist: „Die Durchfahrt bei Rot befahren. Das jedoch nicht.“ Kompliziert, oder? Es ist immer einfacher zu erfassen, was man tun soll, als was man nicht tun soll.
Deshalb sollte man übrigens auch gegenüber Kindern lieber positiv formulieren. „Bleib im Garten“ ist erfolgreicher als „klettere nicht über den Zaun“. Sie ahnen es: Letzteres wird viele Kinder überhaupt erst auf die Idee bringen, genau das zu tun.
Doppelte Verneinungen und andere Hürden
Kehren wir noch einmal zurück zu meiner Saugroboter-Story. Ich hätte dort ergänzen können:
1) Als Texterin kann ich nicht mal eine Bedienungsanleitung ohne Texterblick lesen.
2) Als Texterin komme ich nicht umhin, sogar Bedienungsanleitungen mit Texterblick zu lesen.
Beim ersten Satz gibt es eine doppelte Verneinung: nicht ohne. Übersetzt: Ich lese selbst Bedienungsanleitungen mit Texterblick.
Der zweite Satz beinhaltet die etwas schwierige Konstruktion nicht umhinkommen. Übersetzt: Ich habe die Angewohnheit.
Nun will ich nicht sagen, dass man diese Sätze so nicht schreiben darf. Und, huch, wieder eine doppelte Verneinung: Nicht sagen, dass man etwas nicht machen soll. Wie hieße das einfacher ausgedrückt? Man darf diese Sätze trotzdem schreiben. Das hat jedoch eine ganz andere Wirkung als meine erste Version. Ganz so einfach scheint es also nicht zu sein.
Mit Verneinungen nuancieren
Fakt ist: Eine doppelte Verneinung aufzulösen, erfordert vom Leser mehr Hirnleistung. Wenn es wichtig ist, Ihre Botschaft ganz einfach und klar auszudrücken, ist die positive Variante besser („bei Rot halten“). Manchmal trifft es aber die schwierigere Konstruktion besser. Dann dürfen Sie sie dem Leser durchaus zumuten.
Nehmen wir dazu mal folgenden Satz:
Rechtschreibung ist nicht leicht.
Das Hirn empfängt erst das Konzept leicht und muss es dann ins Negative ziehen: nicht leicht. Also besser einfacher ausdrücken? Das wäre:
Rechtschreibung ist schwer.
Doch hm, das wollte ich gar nicht sagen. Nicht leicht bedeutet: Okay, es macht etwas Mühe, ist aber zu schaffen. Schwer ist fast schon hoffnungslos.
Ähnlich ist es ein Unterschied, ob ein Verhalten richtig ist – oder ob es nicht falsch ist (= es könnte besser sein). Die Verneinung erlaubt mir, zu nuancieren.
Daher: Verneinungen sind schon in Ordnung, wenn sie Ihre gewünschte Aussage besser transportieren. Zwei Tipps will ich Ihnen jedoch noch mitgeben.
Tipp 1: Timing ist alles
Eine Verneinung ist umso schwieriger zu erfassen, je später oder versteckter im Satz sie auftritt.
Beachten Sie bitte die gelb markierten Flächen, die bei Publikumsverkehr und während des Spiels nicht betreten werden dürfen.
Mit etwas Pech endet die Aufmerksamkeitsspanne der Leserin bei: „Beachten Sie die gelb markierten Flächen.“ Mögliche Lösungen:
Bitte treten Sie nicht auf die gelb markierten Flächen.
Bitte bleiben Sie außerhalb der gelb markierten Flächen.
Noch ein Beispiel:
Hipster, Schickimicki und schöner Schein: Das sucht man hier vergebens.
Hier hat die Leserin die negativ besetzten Begriffe schon als gegeben wahrgenommen, bevor sie erfährt, dass sie ja gerade nicht zutreffen. Besser wäre es andersherum – erst die Verneinung, dann die Aufzählung:
Was man hier vergebens sucht: Hipster, Schickimicki und schöner Schein.
Umgekehrt kann es auch ein Problem sein, die Verneinung zu früh zu bringen.
Du solltest nicht vor dem Schlafengehen, zumal wenn du eh aufgedreht bist, noch Kuchen essen.
Bis die Rede auf den Kuchen kommt, könnte der Adressat das nicht schon wieder vergessen haben – und sich nur noch über den Kuchen am Satzende freuen. Besser:
Du solltest vor dem Schlafengehen keinen Kuchen mehr essen.
Tipp 2: Vorsicht vor verneinten Bildern
Riskant sind Verneinungen auch, wenn Sie Redewendungen nutzen:
Das war immerhin kein Schuss in den Ofen.
Ich will kein Öl ins Feuer gießen.
Wir wollen das Projekt nicht in den Sand setzen.
Ich will dich keinesfalls über den Tisch ziehen.
Ziel des Arbeitens mit Bildern ist ja, dass sich tatsächlich ein gewisses Bild vor dem inneren Auge des Lesers oder der Leserin auftut: Öl, das zischend ins Feuer fließt, jemand, der über einen Tisch gezogen wird. Hat man das erst mal vor Augen, hilft die Verneinung nicht mehr. Besser sind positive Bilder:
Das war kein Schuss in den Ofen => Wir haben ins Schwarze getroffen.
Wir wollen das Projekt nicht in den Sand setzen => Wir werden uns ins Zeug legen.
Fazit: Mit Verneinungen richtig umgehen
Wie in den meisten Stilfragen gibt es auch bei Verneinungen keine Pauschallösung. Selbst doppelte Verneinungen können absolut ihre Berechtigung haben. Der beste Rat: Bleiben Sie sensibel für die Wirkung Ihrer Sätze. Geht es klarer und einfacher („bei Rot halten“)? Oder benötigen Sie die Verneinung, um zu nuancieren („nicht leicht“ vs. „schwer“)? Dann werden Sie sicher die richtige Formulierung finden.
Lesen Sie auch:
Besser texten: Der Doppelpunkt als Stilmittel
Besser texten: Kurzsätze, Fragen und Ausrufe
Von „etc.“ bis „usw.“: Rechtschreibung und Stil bei Aufzählungen
Andreas MÄder meint
Danke für den spannenden Beitrag.
Ich will ja keinen Schuss in den Ofen gelesen haben, aber ok oder Ok ist gemäß Duden nicht O. K. Nur letztere (bzw. die Variante o. k.) sind korrekt.
PS Der Satz ist jetzt extra kompliziert geschrieben – ich könnte durchaus anders 😉
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Mäder,
ah, cool, danke für den Hinweis! Ich ändere das gleich.
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Karin Scherer meint
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag. Zeigt es doch, dass unser Gehirn den einfachen Weg wählt und eine Verneinung schon mal übersehen kann.
Bei der Erziehung meines Sohnes hat es wunderbar funktioniert, mit kurzen und klaren Sätzen zu sprechen. Dem Hinweis mit dem Gartenzaun kann ich nur zustimmen.
Herzlichen Gruß
Karin Scherer
Dr. Annika Lamer meint
Liebe Frau Scherer,
vielen Dank für Ihr nettes Feedback.
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Prof. Dr. Ernst-Otto Thiesing meint
Sehr geehrte Frau Lamer,
vielen Dank für Ihren Newsletter und den Text zur Verneinung. Ich habe wieder mit großer Freude – diesmal nicht zuletzt wegen des ‚Genderns‘- den Text verschlungen: besonders gefallen hat mir das Beispiel, dass die Leserin am Abend keinen Kuchen mehr essen soll – daraus habe ich messerscharf für mich geschlossen, dass ich als Leser das aber sehr wohl darf und das hat mich wirklich beruhigt…Also weiterhin ohne schlechtes Gewissen ein leckeres Stück Kuchen – Frau Lamer hat’s schließlich so geschrieben…
In diesem Sinn beste Grüße
Ernst-Otto Thiesing
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Thiesing,
oh, da haben Sie die alte Version gelesen oder noch eine alte Version im Browser. Aus der Kuchenesserin ist nämlich ein Kuchenesser geworden. Tja, das war’s dann mit dem Freifahrschein! 😁
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Dimitri B. meint
Guten Abend Frau Lamer,
mein Sprachgefühl sagt mir, dass einer Ihrer Beispielsätze grammatisch richtig wie folgt lauten sollte:
• Was man hier vergebens sucht: Hipster, Schickimicki und schöneN Schein.
Schönen Gruß
Dimitri B.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Dimitri,
beides ist möglich – Nominativ oder Akkusativ.
Herzliche Grüße
Annika Lamer