Was hätte König Salomo wohl zu Pandora gesagt? Hätte er ihr einen Persilschein gegeben? Und als er über zwei streitende Frauen richten sollte, hat er sich da wohl gedacht: Ich kenne doch meine Pappenheimer?
Nun, der Lauf der Jahrhunderte spricht dagegen, denn ich springe mal wieder munter durch die Zeiten. Freilich mit nur einem Ziel: Ihnen die Herkunft und Bedeutung interessanter Redewendungen zu erklären. Allen Ausdrücken gemein ist ihr Storytelling-Faktor. Sie alle gehen auf konkrete Ereignisse zurück, egal ob real oder im Reich der Mythologie verortet.
Komplexe Ausdrücke richtig verwenden
In Teil 3 meiner Reihe „Wendungen für Wissensdurstige“ stelle ich Ihnen vor: die Büchse der Pandora, Pappenheimer, Persilschein, salomonisches Urteil.
Bei den meisten Begriffen werde ich Ihnen auch meine Einschätzung geben, in welchem Kontext der Ausdruck nicht passt. Denn die Einbindung in eine Geschichte bringt bestimmte Deutungsebenen mit sich, die man nicht einfach beiseite lassen sollte. Wie immer handelt es sich dabei um meine persönliche Bewertung – Sie dürfen mir gerne widersprechen.
Jetzt wünsche ich Ihnen erst einmal viel Freude bei der Lektüre. Los geht es mit einer aus Lehm erschaffenen Frau, die rätselhaftes Gepäck bei sich trägt.
Die Büchse der Pandora
Beispiel: Am Ende habe ich mich doch bei Instagram angemeldet – und damit die Büchse der Pandora geöffnet.
Einfach ausgedrückt: Am Ende habe ich mich doch bei Instagram angemeldet – und mir damit viele Probleme eingehandelt.
Woher kommt der Ausdruck?
Bei der Büchse der Pandora zeigt sich mal wieder: Die tollsten Geschichten schreibt die griechische Mythologie. Wir haben hier einen äußerst ungehaltenen Zeus, sauer darüber, dass Prometheus das Feuer gestohlen und den Menschen gebracht hat. Was liegt da näher, als aus Rache die Frau zu erschaffen?
So entsteht die erste Frau aus Lehm. Von den verschiedenen Göttern wird sie mit allerlei Gaben beschenkt: Schönheit, Liebreiz, Übermut, Geschicklichkeit … Daher ihr Name Pandora – die „Allbeschenkte“.
Derart verführerisch ausgestattet, schickt Zeus Pandora zu Prometheus und den Menschen. Zuvor drückt er ihr jedoch eine Büchse in die Hand, die all das Unheil der Welt beeinhaltet, aber auch die Hoffnung. Die Menschen sollen sie auf keinen Fall öffnen. Perfide, wie er ist, plant Zeus natürlich bereits das Gegenteil mit ein.
Die schöne Pandora schlägt also bei den Menschen auf. Prometheus ist misstrauisch, aber sein Bruder Epimetheus kann Pandora nicht widerstehen. (Noch ein Namens-Funfact: Metheus ist der Bedenkende. Prometheus ist der vorher Bedenkende, Epimetheus der nachher Bedenkende.)
Epimetheus heiratet Pandora, und was macht Pandora? Sie öffnet die Büchse. Fortan sind die Menschen mit all dem Schlechten dieser Welt bestraft, mit Mühsal, Krankheit, Tod – alles Dinge, die sie vorher nicht kannten. Und das Schlimmste: Bevor auch die Hoffnung entweichen kann, wird die Büchse wieder geschlossen.
Wir leben also in einer Welt voller Übel und ohne Hoffnung. Super, oder?
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Wenn jemand die Büchse der Pandora öffnet, richtet er Unheil an. Zwei Aspekte scheinen mir dabei wichtig, um die Redewendung abzugrenzen.
Zum einen bin ich, wenn ich die Büchse öffne, auf eine naive Art schuld dran. Ich hätte es besser wissen müssen, handele wider besseres Wissen. Pandora war gewarnt, dass die Büchse verschlossen bleiben sollte – und doch siegte ihre Neugier.
So richtet ein Autounfall zwar Übles an, doch da er normalerweise nicht mit Absicht verursacht wird, wird keine Büchse der Pandora geöffnet. Wenn ich mich hingegen bei Instagram anmelde, obwohl ich weiß, dass ich zu Social-Media-Sucht neige, kann ich sagen:
Am Ende habe ich mich doch bei Instagram angemeldet – und damit die Büchse der Pandora geöffnet.
Zum anderen scheint mir wichtig, dass das Öffnen der Büchse einen Rattenschwanz an negativen Geschehnissen nach sich zieht. Ein Unfall als einzelnes Ereignis passt nicht. Die Instagram-Sucht hingegen bedeutet immer mehr und mehr Probleme, die ich nicht mehr los werde.
Pappenheimer
Beispiel: Ich habe die Aufgaben noch mal in die Cloud gelegt, damit keiner sagen kann, er hätte sie nicht bekommen. Ich kenn doch meine Pappenheimer.
Einfach ausgedrückt: Ich habe die Aufgaben noch mal in die Cloud gelegt, damit keiner sagen kann, er hätte sie nicht bekommen. Ich kenn doch meine Schüler und Schülerinnen.
Woher kommt der Ausdruck?
Der Ausdruck „Ich kenne meine Pappenheimer“ klingt so flapsig, dass man ihn eher beim Volksmund verorten würde. Aber nein, es ist Hochliteratur. Friedrich Schiller prägt den Ausdruck in seiner Wallenstein-Trilogie über den dreißigjährigen Krieg.
Die titelgebende Hauptfigur basiert auf einer realen historischen Persönlichkeit: dem böhmischen Feldherrn und Politiker Wallenstein. Ehemals Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, fällt Wallenstein schließlich in Ungnade und wird von kaiserlichen Offizieren ermordet.
Die Szene bei Schiller setzt ein, als Wallensteins Lage schon nicht gerade rosig aussieht. Sein Vertrauter Piccolomini hat ihn verraten, von Kaiser Ferdinand II. wird er geächtet. Ein großer Teil seiner Regimenter hat ihm den Rücken gekehrt. Doch noch glaubt Wallenstein, mit den verbleibenden Getreuen gegen den Kaiser vorgehen zu können.
Ein Trupp Soldaten aus Pappenheim im Altmühltal sichert ihm Unterstützung zu. Oder doch nicht? Wallenstein, der die Pappenheimer als mutiges Regiment kennt, kann sie überzeugen. Anerkennend kommentiert er: „Daran erkenn ich meine Pappenheimer.“ (Der Satz lautet also im Original etwas anders – erkennen statt kennen.)
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Wallenstein sagt den Satz voller Achtung für die mutigen Getreuen. Im Sprachgebrauch hat sich das inzwischen verkehrt. Der Ausdruck heißt zwar immer noch, dass man jemanden gut kennt, aber vor allem bezogen auf seine Schwächen.
Pappenheimer lassen sich allerdings nichts wirklich Ernsthaftes zuschulden kommen. Stattdessen gibt man so ein grinsendes Seufzen von sich: „Ach, die nun wieder.“ Hier klingt das Gefälle an, das wichtig ist für den Ausdruck. Als Schülerin könnte ich über meine Lehrer und Lehrerinnen nicht sagen: „Ich kenn doch meine Pappenheimer.“ Das geht nur umgekehrt, aus einer Position der Überlegenheit heraus.
Pro-Frage: Wenn ich sonst in meinen Texten gendere – muss ich die Pappenheimer dann eigentlich auch gendern? „Ich kenn doch meine Pappenheimer und Pappenheimerinnen“? Meine Einschätzung: Nein. Ich wäre hier nicht päpstlicher als der Papst und würde die Redewendung im Original belassen.
Persilschein
Beispiel: Er erwartet von mir einen Persilschein für sein Verhalten.
Einfach ausgedrückt: Er will, dass ich sein Verhalten durchwinke.
Woher kommt der Ausdruck?
Der Persilschein hat seinen Ursprung in der Nachkriegszeit. Die Besatzungsmächte stehen vor dem Problem, dass sie einerseits den Nationalsozialismus in Deutschland ausmerzen, andererseits jedoch für einen funktionierenden Apparat sorgen müssen. Ein Beitrag des NDR formuliert es so: „Wer ist schuldig und in welchem Maß? Wer verantwortlich, wer Mitläufer? Und wer steht überhaupt zur Verfügung, um das Land unter neuen, demokratischen Vorzeichen wieder zum Laufen zu bringen?“
Ziel der Entnazifizierungsprozesse kann es also nicht sein, halb Deutschland hinter Gitter zu bringen. Um besser beurteilen zu können, wie schwerwiegend die NS-Gesinnung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern ist, kommt man auf folgende Idee: Angeklagte haben die Möglichkeit, bei den Spruchkammern entlastende Zeugnisse von Mitbürgern einzureichen. So will man bloßen Mitläufern eine Chance geben.
Auf die Schnelle habe ich nichts dazu gefunden, ob solche Leumundsaussagen einfach durchgewunken wurden oder doch näher auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft wurden. Dass das System auf wackeligen Füßen stand, ist sicher keine Frage.
Die Zeugnisse der Mitbürger sollen die Angeklagten also reinwaschen – so wie das Waschmittel die Wäsche. Statt eines „Reinwasch-Scheins“ nutzt man für eine griffige Wortbildung den Namen der bekannten Waschmittelmarke.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Heute wird der Persilschein auch in anderen Zusammenhängen gebraucht, in denen jemand entlastet werden soll. Es muss kein Schreiben sein; man kann denjenigen auch mündlich von Schuld freisprechen.
Wie ist das hier mit dem historischen Hintergrund? Wenn Sie den Ausdruck verwenden, sollten Sie ihn zumindest im Hinterkopf behalten. Immerhin ist uns die Entnazifizierung deutlich näher als etwa Wallensteins Pappenheimer.
Wichtig ist daher in meinen Augen die negative Konnotation: Die Aussagekraft eines Persilscheins ist fragwürdig; zu groß ist die Gefahr, dass er eine echte Schuld reinwäscht.
Wenn Ihr Partner oder Ihre Partnerin also den Hund verdächtigt, den Käse gefressen zu haben, und Sie wissen, er war es nicht – können Sie Ihrem Hund dann einen Persilschein ausstellen? Nein, das passt nicht. Der Persilschein sollte schon die Dimension haben: Möglicherweise war hier jemand schuldig und versucht seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.
Geben wir meinem Eingangssatz also ruhig noch etwas (negativen) Kontext:
Er schwärzt die Kollegen und Kolleginnen an und erwartet von mir einen Persilschein. Aber das kann er vergessen. Ich werde weder vor ihm noch vor dem Chef sagen, dass sein Verhalten gerechtfertigt ist.
Ein salomonisches Urteil
Beispiel: Dass Vater mir das Haus überschreiben will und dir das Grundstück, nennst du ein salomonisches Urteil? Wohl kaum.
Einfach ausgedrückt: Dass Vater mir das Haus überschreiben will und dir das Grundstück, nennst du eine gerechte Lösung? Wohl kaum.
Woher kommt der Ausdruck?
Für den Begriff des salomonischen Urteils tauchen wir in die Bibel ein. Zwei Frauen, die in einem Haus wohnen, kommen beide in der Nacht nieder. Eines der Neugeborenen stirbt. Nun behaupten beide, die Mutter des überlebenden Kindes zu sein.
König Salomo wird hinzugerufen, er soll den Rechtsstreit schlichten. Einfache Lösung: Wenn sich die beiden nicht einigen können, muss man das Kind halt mit dem Schwert in zwei Teile schneiden. Eine der beiden Frauen findet den Vorschlag nur fair. Die andere bittet dagegen darum, das Leben des Kindes zu verschonen – lieber soll es der anderen zugesprochen werden. Der König erkennt: Sie ist die wahre Mutter.
Das Motiv benutzt auch Bertolt Brecht in seinem Stück Der kaukasische Kreidekreis. In seiner Version soll das Kind nicht zerschnitten werden, was aus heutigen Maßstäben ja auch reichlich absurd erscheint. Stattdessen sollen die beiden Mutter-Aspirantinnen gleichzeitig versuchen, das Kind aus einem Kreidekreis herauszuziehen: „Die wahre Mutter wird die Kraft haben, ihr Kind aus dem Kreis zu reißen.“
Auch hier lehnt eine der Frauen ab, dem Kind Derartiges anzutun. Und auch hier lautet die Auflösung natürlich: Die Verzichtende ist die wahre Mutter und darf das Kind behalten.
Brechts Version finde ich schlüssiger, denn das Argument „die wahre Mutter hat mehr Kraft beim Ziehen“ könnte ein abergläubisches Gemüt durchaus überzeugen. Trotzdem hat es nicht der kaukasische Kreidekreis zur Redewendung geschafft, sondern das salomonische Urteil.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Wenn jemand ein salomonisches Urteil spricht, gelingt es ihm, einen Streit zu schlichten – und zwar auf überraschend einfache und dabei zutiefst zufriedenstellende Weise.
Interessant ist, dass es wie schon beim Ei des Kolumbus und beim gordischen Knoten (siehe Teil 2) darum geht, eine Lösung für ein Problem zu finden. Das scheint etwas zu sein, was den Menschen immer wieder umtreibt. Und wie auch schon bei den anderen beiden Ausdrücken wird wohl öfter die Verwendung vorkommen, dass eine Lösung in weiter Ferne liegt:
Im Streit der beiden Parteien bräuchte es ein salomonisches Urteil – doch das ist nicht in Sicht.
Für unseren Beispielsatz liefere ich Ihnen auch noch einen Grund, warum die Entscheidung des Vaters kein salomonisches Urteil ist:
Dass Vater mir das Haus überschreiben will und dir das Grundstück, nennst du ein salomonisches Urteil? Wohl kaum: Das Haus ist so baufällig, dass es abgerissen werden muss.
Fazit: Mehr Spaß mit Geschichten
Wenn …
- etwas nicht nur nervig ist, sondern eine ganze Büchse an Übel öffnet,
- eine Waschmittelmarke sinnbildlich dafür steht, jemanden reinzuwaschen,
- jemand wie ein König richtet – oder es zumindest versucht,
… dann, ja dann haben wir die Möglichkeiten der Sprache reich ausgeschöpft. Wie immer allerdings mit der Einschränkung: Achten Sie darauf, ob Sie auch verstanden werden, oder setzen Sie einen Nachsatz zur Erklärung hinzu.
Auch heute würde ich gerne von Ihnen wissen: Welcher Ausdruck, welche Geschichte gefällt Ihnen am besten? Was hat Sie vielleicht sogar überrascht? Lassen Sie mir gerne einen Kommentar da.
Lesen Sie auch:
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Von des Pudels Kern bis zum gordischen Knoten: Wendungen für Wissensdurstige, Teil 2
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Thomas meint
Hallo Frau Lamer,
das war mal wieder sehr aufschlussreich, Danke.
Ein Wort in Ihrem Artikel zeigt mal wieder, wie kompliziert die deutsche Sprache sein kann: Gibt es doch für das Wort „Regiment“ im Plural zwei unterschiedliche Schreibweisen (je nach Bedeutung): Regimente und Regimenter. Wer soll da noch durchblicken :-).
Viele Grüße
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Thomas,
danke für Ihren Kommentar! Zum Glück kommt man nicht so oft in Verlegenheit, „Regimenter“ zu schreiben. 😉
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Hans meint
Hallo Annika, wie Sie die komplexen Konnotationen des Persilscheins verdeutlicht haben, finde ich sehr punktgenau. Das ging mir nicht mit allen Wendungen so, aber da spielt ganz gewiss auch ein Stück weit die individuelle Sozialisation herein: das familiäre und geografische Umfeld.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Hans,
wenn man mit einrechnet, dass Redewendungen sogar eine Bedeutungsverschiebung erfahren können (siehe Pappenheimer), ist es nicht verwunderlich, dass sie sich nicht in jedem Fall stabil und eindeutig verhalten. 🙂
Viele Grüße
Annika
Steffi meint
Hallo Anika,
sehr interessant aufgearbeitet und mir würde der Begriff „kaukasischer Kreidekreis“ fast besser gefallen, schon allein wegen der Alliteration 😉
Viele Grüße
Steffi