Die Katze aus meiner Bloggrafik hat sich wohl ziemlich erschreckt. Oder hat sie sich erschrocken? Im nächsten Moment hat sie sich schon abgewendet (oder abgewandt?) und hat mich stehen lassen (oder stehen gelassen?). Tja, Kätzchen, da hilft wohl nichts: Ein klärender Blogbeitrag muss her.
Wie Sie bestimmt schon erkannt haben, soll es heute um schwierige Perfektbildungen gehen. Ich habe einige Fälle mitgebracht, bei denen man schon mal ins Trudeln geraten kann.
Erschreckt oder erschrocken?
Erschreckt oder erschrocken, erschreckte oder erschrak – erst einmal klingt beides richtig. Wie kann das sein? Die Lösung: Von dem Verb erschrecken gibt es zwei Varianten, ein transitives und ein intransitives Verb.
Transitiv ist ein Verb dann, wenn ein Akkusativobjekt hinzukommt. Ich, das Subjekt, tue etwas mit einem Objekt. Zum Beispiel:
- Ich koche heute eine leckere Tomatensuppe.
- Mit meinen lauten Schuhen erschrecke ich noch den Hund.
Wen oder was koche ich? Eine Tomatensuppe. Wen oder was erschrecke ich? Den Hund.
Wird das Verb hingegen intransitiv gebraucht, ist kein Akkusativobjekt möglich.
- Die Tomatensuppe kocht auf kleiner Flamme.
- Ich erschrecke neuerdings so leicht.
Was hier im Präsens noch gleich aussieht, bekommt beim Verb erschrecken im Präteritum und Perfekt eine interessante Wendung. Das transitive Verb (jemanden) erschrecken wird nämlich schwach gebeugt. Heißt: Der Wortstamm bleibt gleich.
- Ich erschreckte den Hund. Ich habe ihn erschreckt (nicht: erschrocken).
Die intransitive Form wird hingegen stark gebeugt, bekommt also eine Vokaländerung.
- Der Hund erschrak. Er ist erschrocken (nicht: erschreckt).
Schauen wir uns die Bloggrafik an, können wir sagen:
- Die Katze hat mich erschreckt, dabei ist sie wohl nur selbst erschrocken.
Und sich erschrecken? Die reflexive Form ist umgangssprachlich. Dabei treten beide Beugungen auf:
- Die Katze erschreckte sich/erschrak sich. Sie hat sich erschreckt/hat sich erschrocken.
Im ersten Satz dieses Blogbeitrags sind demnach beide Lösungen richtig – auch wenn das reflexive Verb sich erschrecken als umgangssprachlich zu bewerten ist.
Gehängt oder gehangen?
Auch vom Verb hängen existiert eine schwach gebeugte transitive Form und eine stark gebeugte intransitive Form.
Wir erinnern uns: Transitiv bedeutet, dass ein Akkusativobjekt hinzutritt.
- Der Nachbar hängt die Wäsche auf.
Diese transitive Form behält ihren Wortstamm auch im Präteritum und Perfekt (schwache Beugung):
- Der Nachbar hängte die Wäsche auf. Er hat sie aufgehängt.
In seiner intransitiven Form steht das Verb hingegen ohne Akkusativobjekt:
- Die Wäsche hängt an der Leine.
Das wird dann in der Vergangenheit stark gebeugt, der Vokal ändert sich:
- Die Wäsche hing an der Leine. Sie hat an der Leine gehangen.
Noch einmal beides zum Vergleich:
- Wie lange hat das Bild dort schon gehangen? Ich glaube, ich habe es vor drei Jahren aufgehängt.
Gewendet oder gewandt?
Falls es Sie beruhigt: Mit der Unterscheidung zwischen transitiv und intransitiv sind wir jetzt durch. Trotzdem gibt es weitere Verben, die sowohl stark als auch schwach gebeugt werden können. Das Verb wenden gehört dazu:
- Hast du dich schon an den Manager gewandt/gewendet?
- Er wandte/wendete den Blick ab.
Beide Formen sind korrekt, die starke Beugung gewandt und wandte ist laut Duden jedoch häufiger.
Wenn hingegen eine Richtungsänderung gemeint ist, benutzt man die schwache Form ohne Vokalwechsel:
- Sie wendete ihren Wagen in der Einfahrt (nicht: wandte).
- Das Blatt hat sich gewendet (nicht: gewandt).
Neben der Grundform wenden gibt es noch eine ganze Reihe Präfix-Varianten: (sich) abwenden, zuwenden, umwenden, aufwenden, anwenden, einwenden. Beide Beugungen sind möglich; laut Duden überwiegt die starke Form mit a. Eine Ausnahme ist verwenden, hier wird die schwache Beugung vorgezogen. Das Verb entwenden schließlich geht eigene Wege: Es wird ausschließlich schwach gebeugt.
- Ich habe mein neues Wissen bereits angewandt (seltener: angewendet).
- Welche Methode hast du verwendet (seltener: verwandt)?
- Er hat viel Geld entwendet (nicht: entwandt).
Ich persönlich würde im Einleitungsabsatz lieber schreiben: „Im nächsten Moment hat sie sich schon abgewendet.“ Für mich ist es die modernere Form, und ich zweifle etwas, ob der Duden noch recht hat mit seiner Beobachtung, die starke Form sei häufiger.
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Gewinkt oder gewunken?
Über die Frage, ob häufiger gewinkt oder gewunken wird, ist sich sogar die Dudenredaktion uneins. Während der Rechtschreibduden gewinkt als Hauptform setzt, steht in den Sprachlichen Zweifelsfällen (Duden Band 9), das starke gewunken habe sich mit Ausnahme der Schweiz durchgesetzt. Machen Sie das also ruhig nach Gusto.
- Er hat mir gewunken/gewinkt.
Gespalten oder gespaltet?
Beim Verb spalten überwiegt klar das Perfekt gespalten.
- Die Klassengemeinschaft war in zwei Lager gespalten (seltener: gespaltet).
Genauso bei abspalten, aufspalten und zerspalten.
Geschaffen oder geschafft?
Hier haben wir mal wieder ein Verb, bei dem unterschiedliche Bedeutungen zu verschiedenen Beugungen führen.
In der Bedeutung schöpferisch hervorbringen wird schaffen stark gebeugt:
- Ich habe ein neues Wort geschaffen.
- Er schuf bedeutende Werke.
In allen anderen Bedeutungen (davon gibt es viele) ist die schwache Beugung richtig:
- Sie hat die Prüfung geschafft.
- Er schaffte den Teppich nach oben.
In einigen Verbindungen geht beides:
- Sie hat in der Küche Ordnung geschafft/geschaffen.
- Wir haben endlich mehr Platz geschafft/geschaffen.
Hier wurden Ordnung und Platz entweder erzielt (= geschafft) oder entstehen gelassen (= geschaffen). Beide Lesarten sind möglich – deshalb passen beide Formen.
Lassen oder gelassen?
„Entstehen gelassen“ habe ich gerade geschrieben. Ist das überhaupt richtig, müsste es nicht vielleicht heißen entstehen lassen?
Antwort: In Passivkonstruktionen (erkennbar an Formen wie wird oder wurde) ist gelassen richtig. Es heißt:
- Der Satz wurde von mir unkorrigiert stehen gelassen.
Bei der „einfachen“ Perfektbildung mit haben ist gelassen ebenfalls die richtige Wahl:
- Ich habe den Satz unkorrigiert gelassen.
- Er hat sein Handy bei mir gelassen.
Ein Sonderfall tritt auf, wenn in der Perfektkonstruktion noch ein Infinitiv hinzukommt. Dann ist überwiegend lassen korrekt. In vielen Fällen können Sie jedoch auch gelassen schreiben.
- Die Ladenbesitzerin hat den Dieb laufen lassen.
- Ich habe den Satz unkorrigiert stehen lassen/stehen gelassen.
- Er hat sein Handy bei mir liegen lassen/liegen gelassen.
Gewohnt oder gewöhnt?
Kommen wir zum letzten Zweifelsfall. Das Verb gewöhnen hat natürlich nur ein Perfekt, nämlich gewöhnt. Trotzdem gibt es da noch die Form gewohnt – ein Adjektiv. Meist können Sie beides verwenden. Doch müssen Sie dabei unterschiedliche Konstruktionen beachten.
Gewohnt wird mit sein gebildet. Oft tritt ein es hinzu:
- Ich bin es gewohnt, früh aufzustehen.
Gewöhnt wird mit sein oder haben gebildet und erfordert die Ergänzung an oder daran:
- Ich bin daran gewöhnt, früh aufzustehen.
- Ich habe mich daran gewöhnt, früh aufzustehen.
- An frühes Aufstehen bin ich gewöhnt.
*Ich bin es gewöhnt wäre also falsch; statt es müsste hier daran stehen.
Inhaltliche Unterschiede zeigen sich am ehesten bei der Bildung mit haben. Bei der Formulierung ich habe mich daran gewöhnt merkt man nämlich, dass von einem Prozess die Rede ist beziehungsweise vom Ergebnis dieses Prozesses. Es geht um eine Gewöhnung.
Ich bin es gewohnt bezeichnet hingegen einen Zustand – denken Sie an die Gewohnheit.
Noch mal zum Vergleich:
- Ich habe mich an das frühe Aufstehen gewöhnt.
- Ich bin das frühe Aufstehen gewohnt.
In Satz 1 musste ich mich an das frühe Aufstehen erst gewöhnen. In Satz 2 war es schon immer (oder schon lange) eine Gewohnheit von mir.
Fazit: Perfekte Verwirrung
Die Gründe für die unterschiedlichen Perfektformen sind also ganz unterschiedlich.
- Transitiv und intransitiv: erschreckt vs. erschrocken, gehängt vs. gehangen
- Bedeutungsunterschied: geschafft vs. geschaffen, gewendet vs. gewandt/gewendet
- Zwei Parallelformen ohne inhaltlichen Unterschied: gewinkt/gewunken, gespalten/gespaltet, angewandt/angewendet
- Je nach Satzkonstruktion: lassen vs. gelassen, gewöhnt vs. gewohnt
Ein kleiner Trost: Oft haben Sie die Wahl. So sind in meinem Einleitungsabsatz alle genannten Formen korrekt. (Dass sich erschrecken umgangssprachlich ist, soll uns in einem Blogartikel nicht stören.)
Jetzt interessiert mich noch Ihre Meinung. Sagen Sie gewinkt oder gewunken, angewandt oder angewendet? Lassen Sie gerne einen Kommentar da.
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Hans meint
Wow, das ist mal wieder wunderbar. Klarer Kurs durch ein Minenfeld der Schreibfehler! Danke.
Dr. Annika Lamer meint
Vielen Dank, Hans! Das freut mich.
Viele Grüße
Annika Lamer
Stefanie vey meint
Immer wieder spannend und so wertvoll! Vielen lieben Dank dafür!
(Ich bin übrigens Team „gewunken“ und „angewendet“ 😉 )
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Frau Vey,
yeah, wir sind im selben Team. 🙂
Danke für Ihr Feedback!
Viele Grüße
Annika Lamer
Sven meint
Viel Aufwand und ein guter Artikel, aber noch bevor ich ihn komplett gelesen habe, habe ich bereits die richtige Schreibweise wieder vergessen. Abgesehen davon, dass die Herleitungslogik so unlogisch und inkonsequent ist, dass ich davon nichts verstehe. 😉
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Sven,
ich find’s toll, dass Sie den Beitrag trotzdem gelesen haben! 🙂 Ja, das hat Sprache an sich, dass sie unlogisch und inkonsequent ist. In meinen Augen zu recht – sie ist keine Mathematik, sie muss flexibel sein.
Ich bin mir sicher, als Muttersprachler (?) machen Sie das meiste intuitiv richtig.
Herzliche Grüße
Annika Lamer
dagmar Wolf meint
Super, danke. Wie ist das denn beim Wort scheinen: Hat die Sonne gescheint oder geschienen?
Viele Grüße
Dagmar
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Dagmar,
danke für die Ergänzung! Standardsprachlich heißt es schien und geschienen. Scheinte und gescheint wird heute noch regionalsprachlich verwendet, sagt der Duden.
Viele Grüße
Annika
Hendrik meint
Liebe Frau Dr. Lamer,
danke für Ihre ausführlichen Erklärungen, ich mag das.
Ich finde es aber schade, dass Sie in Bezug auf gewinkt/gewunken vor dem häufigen falschen Sprachgebraucht kapitulieren (aber da sind Sie nicht die erste).
Für mein Empfinden tut „gewunken“ immer noch fast körperlich weh. So wie „der Einzigste“. Aber da weiß wenigstens fast jede/r, dass es falsch ist.
Für mich ist klar, solange „wank“ falsch ist, ist es „gewunken“ auch. Und ich korrigiere im Bekanntenkreis immer noch, wenn jemand „gewunken“ sagt, auch meinen kleinen Sohn verbessere ich wenn er es sagt. Ist wohl eine Macke von mir.
Janina meint
Sehr aufschlussreich und einleuchtend erklärt, vielen lieben Dank!
Peter Roskothen meint
Liebe Frau Lamer,
mein Abitur liegt lange zurück. Und obwohl ich viel schreibe, musste ich mir für diesen Artikel erst mal wieder viele Begriffe erarbeiten. Nominativ, Akkusativ, transitiv, intransitiv …
Mir fällt bei meinen Schreibthemen auf, dass ich manchmal zu viel voraussetze (kein Vorwurf an Sie). Aber wenn Sie am Anfang die beiden Begriffe „transitiv“ und „Intransitiv“ besser erläutert hätten, dann hätte ich nicht noch weitere Webseiten beschäftigen müssen. Vielleicht haben Sie auch schon darüber geschrieben und es fehlt nur ein interner Link?
Was mich in Ihrem Beitrag am meisten beschäftigt, ist dieser Satz:
„Wie Sie bestimmt schon erkannt haben, soll es heute um schwierige Perfektbildungen gehen. Ich habe einige Fälle mitgebracht, bei denen man schon mal ins Trudeln geraten kann.“
Das finde ich interessant, weil Sie mich erst persönlich ansprechen („Sie“) und dann nicht mehr („man“). Wäre ein „bei denen wir schon mal ins Trudeln geraten können.“ vielleicht besser gewesen, weil Sie mich dann aktiver mit ins Boot nehmen?
Das ist meine Frage an Sie, vielen Dank.
Herzlich,
Peter R.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Peter,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Was transitiv und intransitiv bedeutet, erkläre ich ausführlich zu Beginn des Beitrags. Akkusativ erkläre ich auch („wen oder was?“).
Ob „man“ oder „wir“ ist Geschmacksfrage. Da ich in einem mündlichen Stil schreibe, muss ich das „man“ nicht per se verteufeln. Argumente dafür:
– Ein „wir“ würde mich einschließen. Da ich gerade dabei bin, die Regeln zu erklären, wäre das widersinnig.
– Ein „Sie“ passt aber auch nicht – denn vielleicht gerät die Person, die das gerade liest, gar nicht ins Trudeln.
– „Man“ passt für mich daher am besten als Übersetzung für „der geneigte Schreiberling“. „Fälle, in denen der geneigte Schreiberling schon mal ins Trudeln geraten kann.“ 🙂
Ich hoffe, das ist soweit nachvollziehbar.
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Michael Damböck meint
Jetzt bin ich aber „erschrockt“ wie komplex unsere Sprache sein kann. Danke für diesen tollen Artikel. Ich werde ihn sicherlich immer wieder bei Gelegenheit an Freunde weiterleiten.