„Füllwörter sind überflüssig!“ Bestimmt kennen Sie das Credo, Füllwörter wie „also“, „eben“ und „ja“ möglichst zu vermeiden. Ich sage: Hier hält sich eine Stilregel, die längst nicht mehr zeitgemäß ist. Warum sich das gewandelt hat, worin der Nutzen von Füllwörtern liegt und wie Sie richtig Maß halten – das erkläre ich im heutigen Beitrag.
Beispiele für Füllwörter
Der Duden definiert das Füllwort als „Wort mit geringem Aussagewert“. Beispiele für häufig verwendete Füllwörter im Deutschen sind:
- also
- dann
- doch
- schon
- einfach
- mal
- ja
- nun
- auch
- halt
- eben
- ganz
- genau
- gerade
- übrigens
- jedenfalls
- sozusagen
- gewissermaßen
- quasi
- praktisch
- irgendwie
- überhaupt
- natürlich
- tatsächlich
- wirklich
- sicher
- vielleicht
- vermutlich
Die meisten dieser Wörter können als Füllwort verwendet werden, sind jedoch nicht zwangsweise als eines einzustufen. Nur wenn das Wort für das Verständnis des Satzes nicht notwendig wäre, ist es ein Füllwort.
Ein Füllwort ist nicht immer ein Füllwort
Greifen wir uns dazu mal das Wort „vielleicht“ heraus. Im folgenden Beispiel ließe es sich streichen, ohne den Sinn des Satzes zu verändern.
- Hast du vielleicht ein Taschentuch für mich?
- = Hast du ein Taschentuch für mich?
Klassischer Fall für ein Füllwort also. Im nächsten Satz sieht das anders aus:
- Ich komme vielleicht später.
- ≠ Ich komme später.
Streiche ich „vielleicht“, verändert sich der Sinn des Satzes. In Variante 1 kann die Sprecherin auch pünktlich kommen, in Variante 2 kommt sie auf jeden Fall später. „Vielleicht“ ist kein Füllwort, sondern für die beabsichtigte Satzaussage notwendig.
Sind Füllwörter überflüssig?
Füllwörter, so heißt es, brächten keinen inhaltlichen Mehrwert, sodass man sie ersatzlos streichen könne. Diese Stilregel hält sich hartnäckig, doch stammt sie aus einer Zeit, in der man hauptsächlich „seriöse“, elaborierte Texte produziert hat. Angefangen mit Geschäftsbriefen, Protokollen und Hochglanzbroschüren, später auch Leistungsbeschreibungen auf der Website, die noch sehr nüchtern und sachlich klangen.
Mit dem Siegeszug der Social Media hat sich die Ansprache geändert. Social-Media-Postings – und die Kommentare darunter – leben von Mündlichkeit. Das ist längst auch in andere Textarten herübergeschwappt: in E-Mails, Newsletter und Blogbeiträge.
Genau wie man heute eine E-Mail nicht mehr mit „Hochachtungsvoll“ unterschreibt, ist es auch obsolet geworden, Füllwörter zu verteufeln. Dennoch ist es natürlich nicht das Ziel, auf einmal in jedem zweiten Satz ein „halt“ einzubauen. Schauen wir uns die Funktionen von Füllwörtern also einmal genauer an.
Füllwörter im Mündlichen: Ohne geht es nicht
Beim Sprechen nutzen wir ständig Füllwörter – und das mit Recht. Welche wichtigen Funktionen lassen sich ausmachen?
1. Sprechpausen überbrücken
Eine zu lange Pause, und wir verlieren die Aufmerksamkeit unseres Gegenübers. Ein Füllwort macht deutlich: Warte mal, ich bin noch nicht fertig.
- Okay, verstehe. Naja gut. Dann machen wir das anders. Genau.
2. Zeit gewinnen, um die Gedanken zu ordnen
Manchmal setzen wir zum Sprechen an, ohne zu wissen, was wir jetzt eigentlich genau sagen wollten. Füllwörter verschaffen uns Zeit zum Denken.
- Was ich jedenfalls sagen wollte: Das Problem ist halt, dass mich das einfach belastet.
3. Zeit gewinnen, um einen Satz (grammatisch) korrekt zu formulieren
Bei komplizierteren Satzkonstruktionen helfen Füllwörter, die richtige Grammatik im Kopf herauszusuchen. Hier in meinem Beispiel geht es etwa um die Unsicherheit, ob es „erschreckt“ oder „erschrocken“ heißt.
- Jetzt habe ich mich, ähm, jetzt habe ich mich doch tatsächlich erschrocken.
4. Sich als Sprecher*in wieder nach vorne holen
Mehrere Beteiligte sind am Diskutieren und Sie wollen sich ins Spiel bringen, ohne schroff zu wirken? Ein Füllwort ist Ihr Fuß in der Tür.
- Also, wenn es nach mir geht, können wir starten.
5. Einen Themenwechsel einleiten
Auch allzu abrupte Themenwechsel können schroff wirken. Mit einem Füllwort bereiten Sie Ihr Gegenüber darauf vor.
- Übrigens, ich habe neulich Tina gesehen.
6. Eine Satzaussage abmildern
Viele Füllwörter werden zum Relativieren eingesetzt. Im nächsten Beispiel wirkt das Wort „irgendwie“ wie ein kleines Kissen, das die Kritik auffängt.
- Das finde ich jetzt irgendwie blöd.
Füllwörter machen also sehr wohl einen Unterschied. Selbst wenn sie nichts zur eigentlichen Satzaussage beitragen, erfüllen sie in einem Gespräch wichtige Funktionen.
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Füllwörter im Schriftlichen: Besser als ihr Ruf
Ihren schlechten Ruf haben Füllwörter vor allem im Schriftlichen. Dabei sind sie perfekt, um Mündlichkeit in einen Text zu bringen. Das ist in vielen Textarten, etwas Social Media, Newsletter und Blog, absolut zu begrüßen. Das wäre die erste Funktion:
1. Texte klingen mit Füllwörtern lockerer und natürlicher
Dazu zitiere ich mal aus einem Blogbeitrag von mir:
- Anrede, Grußformel, dazu noch ein paar nette Worte … puh, das kostet Zeit und Mühe.
Inhaltlich hätte ich mir das „puh“ sparen können. Doch bringt es eine Mündlichkeit rein, die dem Text guttut.
Auch das Wort „mal“ in dem Satz weiter oben („Dazu zitiere ich mal …“) ist ein Füllwort. Es gibt Ihnen aber den Eindruck, dass ich mit Ihnen plaudere. Meine Darstellung wirkt gleich viel lockerer.
2. Füllwörter liefern Informationen auf Kommunikationsebene
Der Nutzen von Füllwörtern ist aber nicht nur, das Mündliche nachzuahmen. Genau wie im Gesprochenen können sie auch in geschriebenen Texten eine zusätzliche Ebene hineinbringen. Nehmen wir dazu das Wörtchen „ja“:
- Das ist ja keine leichte Aufgabe.
Klar könnte ich das „ja“ streichen. Aber es drückt aus: „Ich weiß, lieber Leser, liebe Leserin, dass Sie das wissen. Ich erwähne es trotzdem noch mal, um meinen Punkt klarzumachen.“ Ich habe einen entscheidenden Hinweis vermittelt, ohne ihn auszusprechen – nicht auf der Sachebene, aber auf der Kommunikationsebene.
3. Füllwörter können Aussagen abmildern
Auch das Abmildern ist eine wichtige Funktion. So wie hier:
- Sie sollten beim Schreiben ruhig etwas mutiger werden.
- Statt: Sie sollten beim Schreiben mutiger werden.
Meine ich etwas absolut oder ist es nur ein freundlicher Vorschlag? Variante 1 erzielt einen ganz anderen Effekt als Variante 2.
4. Füllwörter können Aussagen verstärken
Umgekehrt können Sie mit einem Füllwort Ihren Punkt auch verstärken.
- Das ist wirklich wichtig.
- Statt: Das ist wichtig.
Wie langweilig wäre es, wenn wir immer nur Sätze nach dem Muster von Variante 2 bilden würden. Erst das Füllwort bringt Pfeffer hinein.
So bitte nicht: Füllwörter als Ballast
Füllwörter stärken also die Kommunikationsebene und helfen uns, unsere Position klarzumachen. Dennoch sollten Sie sie natürlich mit Bedacht verwenden. Achten Sie darauf, dass Sie …
- Füllwörter nicht häufen,
- nicht zu oft dieselben Füllwörter verwenden,
- allzu umgangssprachliche Füllwörter vermeiden und
- Aussagen nicht verwässern.
Oft vermischen sich diese Probleme. Schauen wir uns dazu ein paar Beispielsätze an, bei denen ich den Rotstift ansetzen würde.
- Da bin ich schon irgendwie anderer Meinung.
- Besser: Da bin ich anderer Meinung.
- Aus diesem Vorrat können Sie halt jederzeit schöpfen.
- Besser: Aus diesem Vorrat können Sie jederzeit schöpfen.
- Jedenfalls finde ich das quasi nicht ganz so gelungen.
- Besser: Gelungen finde ich das nicht.
Die Bewertung bleibt Ihrem Sprachgefühl überlassen. Welches Füllwort macht den Text lockerer, welches ist zu viel?
Fazit: Füllwörter mit Maß und Sprachgefühl
Die alte Stilregel „Füllwörter sind überflüssig“ können Sie getrost in die Mottenkiste packen. Dazu erfüllen sie einfach zu wichtige Funktionen. Sie machen einen Text mündlicher und damit lebendiger, und sie können uns wertvolle Zusatzinformationen liefern, wie eine Aussage gemeint ist.
Wie bei jedem Stilmittel sollten Sie es damit jedoch nicht übertreiben. Um für Social Media, Blog und ähnliche Textarten den passenden Ton anzuschlagen, brauchen Sie einen Mittelweg zwischen gesprochener Sprache und der schriftlich elaborierten Sprache. Klappt das bei Ihnen ohne viel Nachdenken – oder fällt es Ihnen manchmal schwer? Lassen Sie mir gerne einen Kommentar da.
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Ulrike Zecher meint
Liebe Annika,
also ich stimme dir total zu: Diese Regel ist nicht mehr zeitgemäß.
Als freie Online-Redakteurin texte ich seit drei Jahren für eine Versicherung.
Und bei Themen wie Risiko-, Sterbe-, Unfallversicherung sind es die Füllwörter, die die Texte ein wenig leichter machen.
Dr. Annika Lamer meint
Liebe Ulrike,
das finde ich gut! Gerade bei diesen Themen ist ja die Angst groß, nicht „seriös“ genug zu klingen. Dabei tut etwas Leichtigkeit auch solchen Texten gut.
Liebe Grüße
Annika
Pascal Blum meint
Liebe Annika,
endlich sagt es mal jemand. Füllwörter haben absolut ihre Berechtigung und sind nicht per se der Vorhölle entsprungen. Sie geben den nötigen Touch oder sie sind teilweise sogar unverzichtbar. Bestimmte Verbindungen wie etwa die Konjunktion „nicht nur … sondern auch“ kommen ohne die kleinen Racker gar nicht aus. Doch Füllwörter sind nicht gleich Füllwörter. Die hier behandelten würde ich so gar nicht nutzen. Ein „ja“ habe ich noch nie in einen Text geschrieben und ein „mal“ ist bei mir immer ein „einmal“ (wobei es natürlich ein Füllwort bleibt). Mir geht es eher so um die gängigen … auch, dann, doch, nur, sicher, zudem, ganz, etc. Wolf Schneider hat doch mal eine Liste gemacht und rund 250 Füllwörter aufgezählt.
Wie auch immer: Es kommt auf die Dosis an! So prüfe ich alle Text im Nachhinein, ob dieses oder jenes Füllwort nötig ist – oder ob es sich um eine Luftnummer handelt. Und ganz wichtig. Man hat seine Lieblinge, die man immer gerne fröhlich und unbedarft einstreut. Diese sind dann in den meisten Fällen unnütz und blähen den Text wirklich nur auf. (das „nur“ war gerade unnötig) Mit der Suchfunktion in Word durchstöbre ich den Text nach meinen Pappenheimer …. und finde sie nur allzu oft.
Liebe Grüße
Pascal
Dr. Annika Lamer meint
Lieber Pascal,
danke für deine differenzierte Darstellung! Richtig, der Punkt ist, dass man ein gutes Gespür braucht. Auch deine Pappenheimer sind sicher nicht in allen Fällen überflüssig.
Viele Grüße
Annika Lamer
Mihály meint
Liebe Annika!
Ich bin kein deutscher Muttersprachler, aber das Thema kann in jeder Sprache relevant sein.
Ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu, wir können unsere Gedanken durch die Verwendung einiger Füllwörter präziser ausdrücken.
Allerdings würde ich nicht glauben, dass zu dieser Gruppe die immer häufiger auftretenden „öö, ehhm, ja, genau usw.“ gehören würden.
Diese Geräusche und Wörter offenbaren einfach die mangelnde Vorbereitung, ja sogar den Egoismus des Redners oder Moderators. Sie stehlen dem Publikum Zeit und können als eine Art Umweltverschmutzung wahrgenommen werden.
Ich denke, wenn wir nichts zu sagen haben, sollten wir einfach schweigen.
Ich glaube nicht, dass ein, über „ööö“ und „äähm“ ausgegebener Freibrief eine richtige Botschaft wäre.
Antje Grube meint
Liebe Annika,
ich danke dir von Herzen für diesen Artikel. Bei meiner Arbeit als Lektorin und Korrektorin stoße ich immer wieder auf dieses Thema und da gibt es ja leider Kollegen und Kolleginnen, die streiten bis aufs Blut und sind der Meinung, ALLE Füllwörter müssen weg. Und so viele Autoren und Autorinnen sind dann total verunsichert …
Ab sofort beende ich alle Diskussionen, indem ich auf deinen Artikel verweise 😉