Sie sind Autorin und haben „schon immer gern Geschichten erfunden“? Sie handeln mit Gebrauchtwagen und haben „schon als Kind gerne mit Autos gespielt“? Moment. Ihrer Geschichte fehlt der Twist.
Vor Kurzem habe ich einen Workshop zum Thema „Storytelling im Selbstmarketing“ der wunderbaren Autorin und Comiczeichnerin Nathalie Bromberger besucht. Nathalie hat es endlich einmal ausgesprochen: Als-Kind-schon-Geschichten sind meistens langweilig. Warum? Weil der Twist, die überraschende Wendung fehlt. Und genau das ist auch das Problem vieler Über-mich-Seiten.
Als Kind schon – und heute?
Wenn Sie also schon immer das gerne gemacht haben, was Sie heute machen: Hinterfragen Sie mal, ob das wirklich so eine gute Geschichte ist. Ihre Als-Kind-schon-Geschichte ist dann womöglich nicht die richtige Wahl für Ihre Über-mich-Seite.
Anders sieht es aus, wenn Sie als Kind völlig andere Vorstellungen hatten. Das ist Ihr Twist, der Ihre Geschichte spannend macht. Angenommen, Sie haben irgendein Angebot für Radfahrer mit dem Ziel, den Autoverkehr in der Stadt zu verringern. Dann, ja dann können Sie die Geschichte mit den Spielzeugautos erzählen:
Als Kind habe ich immer gerne mit Autos gespielt. Ich war ein richtiger Autonarr. Bis ich erkannt habe, dass wir auf unserer Welt nicht mehr, sondern weniger Autos brauchen.
Noch ein Beispiel – vergleichen Sie folgende Geschichten:
- In der Schule galt ich als Fremdsprachen-Crack. Schon damals wollte ich Übersetzerin werden.
- Albert Einstein hatte eine 5 in Mathe.
Welches ist wohl die interessantere Geschichte, welche bleibt hängen?
Ihre Geschichte als Romantic Comedy
Wie wichtig der Twist für eine gute Geschichte ist, zeigen auch die unzähligen romantischen Komödien, die nach diesem Rezept funktionieren. Zwei Figuren treffen aufeinander. Sie können sich nicht ausstehen, weil sie aus verschiedenen Welten stammen und/oder völlig unterschiedliche Charaktere haben. Und doch verlieben sie sich ineinander. Populäre Beispiele: e-m@il für Dich, Notting Hill oder Ein Chef zum Verlieben.
Von Nathalie Bromberger stammt nun die reizvolle Idee, dieses Erfolgsrezept auch für die eigene Unternehmensgeschichte zu nutzen. Zwei Beispiele:
Früher habe ich als Buchhalterin gearbeitet. Zahlen waren meine Welt. Bis ich von einer Freundin ein kleines blaues Notizbuch geschenkt bekommen habe … und einfach drauflosgeschrieben habe.
Facebook? Bloß nicht – was für eine Zeitverschwendung! So dachte ich noch vor drei Jahren. Bis ich eher unfreiwillig doch einen Account eröffnet habe. Was soll ich sagen, die Spätberufenen sind die Schlimmsten. Sofort war ich begeistert. So sehr, dass ich eine Weiterbildung zur Social-Media-Beraterin gemacht habe.
Die Buchhalterin verliebt sich ins Schreiben, die Social-Media-Hasserin in Facebook: zwei romantische Komödien, die das Herz erwärmen.
Haben Sie keine Angst, sich selbst zu demontieren
Vielleicht werfen sie jetzt ein: Aber ist es nicht geschäftsschädigend, so etwas zuzugeben? Sollte ich mich als Social-Media-Beraterin nicht als Early Adopter positionieren, schon immer begeistert von den sozialen Netzwerken?
Kein Wunder: Die Werbe- und Marketingwelt hat uns gelehrt, uns möglichst perfekt zu verkaufen. „Ich kann alles, und zwar schon immer. Ich bin der Beste, und zwar schon immer.“ Das ist aber mitnichten der einzige Weg, sich selbst darzustellen. Solchen aalglatten Geschichten fehlt der Twist. Der Twist, der Sie interessant macht. Der Sie menschlich erscheinen lässt.
Geben Sie Ihre Fehler in der Vergangenheit und kleinen Unperfektheiten in der Gegenwart also ruhig zu. Das bedeutet nicht, dass Sie Ihr Licht unter den Scheffel stellen sollen. Aber Ihr Licht wird umso heller leuchten, wenn Sie daneben auch kleine Schattenbereiche zulassen.
Suchen Sie den einen Moment
Einen Tipp habe ich noch für Sie. Denken Sie Ihre Geschichte nicht als Abfolge von Perlen auf einer Schnur, wo eins das andere ergibt und das Ende bereits am Anfang in Sicht ist:
Schon als Kind habe ich im Urlaub gerne mit den einheimischen Kindern gespielt und mir von ihnen den einen oder anderen Satz in ihrer Muttersprache abgeschaut. Nach dem Abitur habe ich Übersetzungswissenschaften studiert. Später habe ich für eine große Übersetzungsagentur gearbeitet, bevor ich mich schließlich selbstständig gemacht habe.
Das ist ok, aber ziemlich vorhersehbar. Spannender wird es, wenn Sie sich einen Schlüsselmoment herausgreifen, der zum Dreh- und Angelpunkt Ihrer Geschichte wird:
- der Moment, in dem unsere Buchhalterin das Notizbuch geschenkt bekommt
- der Moment, in dem die Social-Media-Hasserin sich bei Facebook anmeldet
- der Moment, in dem der kleine Junge seine Spielzeugautos in den Keller bringt
Oder um beim Beispiel mit der Übersetzerin zu bleiben:
Als Kind fiel es mir schwer, im Urlaub mit den einheimischen Kindern in Kontakt zu kommen. Bis zu jenem denkwürdigen Nachmittag …
Haben Sie einen solchen Wendepunkt einmal gefunden, wird es Ihnen leichter fallen, eine interessante Geschichte zu erzählen.
Fazit: Finden Sie Ihren Twist
Wenn Sie also über Ihrer Über-mich-Seite brüten und denken: „Laaangweilig“, dann überlegen Sie, wo in Ihrer Biografie Sie einen Twist finden können. Was passt nicht ins Bild? Wo gab es einen Moment des Umlenkens? Je überraschender die Geschichte, desto stärker wird der Eindruck sein, den Sie bei Ihren Lesern und potenziellen Kunden hinterlassen.
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Sven Meyer meint
Super Tipp – ich habe mich vorher immer etwas schwer damit getan, Spannung in die Über Mich-Seite zu bringen. Kein Wunder, wenn ich jegliche Spannung aus Angst vor einer schlechten Wirkung herausnehme 🙂
Mir ist auch aufgefallen, dass kaum jemand wirklich „schon seit der Kindheit“ seinen/ihren jetzigen Beruf ausüben wollte. Wirken diese „schon immer“-Geschichten vielleicht deshalb so ermüdend, weil man unbewusst bezweifelt, dass sie wahr sind?
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Meyer,
schon möglich! Es kommt sicher auch auf die Sparte an: Autoren, Computerspieldesignern oder Hundetrainern nimmt man die Schon-immer-Geschichten eher ab als Steuerberatern, Rechtsanwälten oder Reinigungsunternehmern. („Ich habe als Kind schon gerne für Sauberkeit gesorgt/mich für die Rechte anderer eingesetzt …“)
Viele Grüße
Annika Lamer
Sven Lennartz meint
Eine schöne Idee, Frau Lamer. Da sehe ich gleich Verbesserungspotenzial – vor allem bei mir selbst 😉
Was hat es denn mit dem „Twist“ auf sich, den Sie mehrfach nennen? Mir ist das Wort gar nicht so geläufig. Hat es keine deutsche Entsprechung?
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Lennartz,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Das Wort „Twist“ habe ich im zweiten Absatz „übersetzt“: „Weil der Twist, die überraschende Wendung fehlt.“ Ein Twist ist also eine überraschende oder unerwartete Wendung. Das wäre bei Weitem nicht so griffig wie das Wort „Twist“ … Und nur „Wendung“ allein trifft es nicht so gut. Das also als Rechtfertigung für den Anglizismus. 😉
Viele Grüße
Annika Lamer
Christiane Focking meint
Danke für die guten Tipps – wieder was gelernt und gleich umgesetzt 😉
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Christiane,
ein tolles Beispiel für einen Twist! Ich hoffe, Du hast nicht dagegen, wenn ich den Link hier poste: Über Scapha
Viele Grüße
Annika
LIsa Schulz meint
Liebe Frau Lamer,
vielen Dank!
Genau diesen Anschubser habe ich gebraucht. Meine Über-mich-Seite ist gähnend langweilig und ich texte derzeit eifrig um. Auch neue Fotos sind in der Pipeline (an dieser Stelle ein großes Kompliment für Ihre neue Website!),
Beste Grüße aus Mannheim
Lisa Schulz
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Frau Schulz,
vielen Dank – und viel Erfolg mit Ihren Neuerungen. 🙂
Viele Grüße
Annika Lamer