Die indirekte Rede steht im Konjunktiv – vielleicht haben Sie die Regel so noch aus der Schule im Kopf. Aber mal ehrlich, würden Sie wirklich sagen: „Finn schreibt, dass er später komme“? In aller Regel werden Sie zum Indikativ greifen, also zur Normalform des Verbs: „Er schreibt, dass er später kommt.“ Sind wir alle schludrig geworden?
Ich kann Sie beruhigen: Nicht jede indirekte Rede braucht zwangsweise den Konjunktiv. Wann er trotzdem sinnvoll und hilfreich ist, das will ich Ihnen heute zeigen. Außerdem geht es um die richtige Form. Er sagt, er komme? Er käme? Er würde kommen? Kein Wunder, wenn man da durcheinanderkommt. Lassen Sie uns also Licht ins Dunkle bringen.
Indirekte Rede: Konjunktiv oder Indikativ?
Die indirekte Rede – oder auch erlebte Rede – kommt immer dann zum Tragen, wenn Sie die Aussagen einer dritten Person wiedergeben wollen. Standardsprachlich haben Sie dafür drei Möglichkeiten:
- Mit Nebensatz: Delia sagt, dass sie am liebsten grüne Hüte trage.
- Mit Hauptsatz: Delia sagt, sie trage am liebsten grüne Hüte.
- Mit Infinitiv: Delia behauptet, am liebsten grüne Hüte zu tragen.
Variante 1 und 2 stehen im Konjunktiv. Möglichkeit 3, der Infinitiv, geht nur bei bestimmten Verben (hier: behaupten).
Statt des Konjunktivs wird aber oft der Indikativ genommen. Da heißt es dann also:
- Delia sagt, dass sie am liebsten grüne Hüte trägt.
- Delia sagt, sie trägt am liebsten grüne Hüte.
Grundsätzlich erlaubt der Duden das auch. In den Sprachlichen Zweifelsfällen (Duden Band 9) heißt es: „Der Gebrauch des Konjunktivs ist in der indirekten Rede nicht notwendig, wenn durch ein redeeinleitendes Verb bereits gekennzeichnet wird, dass es sich um die Wiedergabe fremden Gedankenguts handelt.“ Mit anderen Worten: Der Begleitsatz „Delia sagt“ drückt ja bereits aus, dass es sich um Delias Meinung handelt. Es muss nicht unbedingt zusätzlich gekennzeichnet werden.
Als ich diese Argumentation in meinem Rechtschreibbuch fahren wollte, widersprach meine Lektorin mir jedoch: Das gelte nur für Sätze mit eindeutiger Faktizität. Leider gibt der Duden nämlich nur das Beispiel „Er sagte, die Erde ist rund.“ Was ja niemand anzweifeln würde.
Also was nun? Braucht es die Faktizität? Explizit macht der Duden keine solche Einschränkung. Ich bleibe daher bei der Sichtweise, dass die indirekte Rede auch im Indikativ stehen darf – vorausgesetzt, es geht durch den Begleitsatz eindeutig hervor, dass es sich um eine Fremdaussage handelt.
Wann der Konjunktiv dennoch sinnvoll ist
Trotz dieser Erleichterung bleiben noch genug Fälle übrig, wo wir den Konjunktiv sehr wohl gebrauchen können.
1. Distanz aufbauen
Praktisch ist der Konjunktiv immer dann, wenn Sie sich deutlich von dem Gesagten distanzieren wollen. Vergleichen wir dazu folgende Varianten:
- Thomas meint, der Mensch ist für den Fleischkonsum gemacht.
- Thomas meint, der Mensch sei für den Fleischkonsum gemacht.
Mit Satz 2 distanziere ich mich stärker von Thomas‘ Aussage.
Noch ein Beispiel: Ob sich der Chef wohl irrt?
- Der Chef meint, wir sind falsch abgebogen.
- Der Chef meint, wir seien falsch abgebogen.
Wenn ich sein Urteil anzweifeln will, greife ich besser zum Konjunktiv.
Sei es, dass der Wahrheitsgehalt der Aussage nicht gesichert ist, sei es, dass Sie anderer Meinung sind: Mit dem Konjunktiv verhindern Sie also, eine ungesicherte Aussage als Fakt darzustellen.
2. Uneindeutige Einleitung
Wie würden Sie den folgenden Satz bewerten?
- Anton seufzt, er ist auf Diät.
Hier lässt sich nicht entscheiden, ob Anton den Satz seufzend gesagt hat oder ob ich als Sprecherin diese Erklärung gebe. Erst mit Konjunktiv ist es eindeutig:
- Anton seufzt, er sei auf Diät.
3. Indirekte Rede ohne Begleitsatz
Besonders wichtig ist der Konjunktiv, wenn es keinen Begleitsatz gibt – entweder weil vorher schon einer vorkam oder weil man ihn ganz weglässt. So wie hier:
- Delia liebt grüne Hüte. Grün ist die Farbe der Hoffnung.
Hat Delia das mit der Hoffnung geäußert oder ich als Sprecherin? Der Konjunktiv stellt es klar:
- Delia liebt grüne Hüte. Grün sei die Farbe der Hoffnung.
Aha, es ist also Delias Aussage. Wie praktisch, dass wir dafür den Konjunktiv haben.
Die richtige Zeitenfolge
Schauen wir uns jetzt noch die korrekte Bildung an. Bisher stand der Begleitsatz im Präsens: „Sie sagt.“ Was passiert, wenn wir ihn in die Vergangenheitsform setzen? Hat das Auswirkungen auf den Konjunktiv? Glücklicherweise nicht. Die Zeitform des Begleitsatzes ist völlig egal. Es zählt einzig und allein, in welcher Zeit die direkte Rede stand.
- Delia: „Ich trage am liebsten grüne Hüte.“
- In indirekter Rede: Delia sagt/sagte/wird sagen, sie trage am liebsten grüne Hüte.
- Delia: „Ich habe früher am liebsten grüne Hüte getragen.“
- In indirekter Rede: Delia sagt/sagte, sie habe früher am liebsten grüne Hüte getragen.
- Delia: „Ich werde morgen einen grünen Hut tragen.“
- In indirekter Rede: Delia sagt/sagte, sie werde morgen einen grünen Hut tragen.
Wann verwende ich den Konjunktiv II?
Da war doch noch was, da war doch noch was … Richtig: Es gibt noch eine zweite Konjunktiv-Form, den Konjunktiv II. Zu „sie habe“ tritt „sie hätte“, zu „sie sei“ „sie wäre“.
Diese Konjunktiv-Form kommt immer dann zum Einsatz, wenn der Konjunktiv I gleichlautend mit dem Indikativ ist und Missverständnisse entstehen können.
Nehmen wir dazu folgende Aussage:
- Delia sagt, sie trage am liebsten grüne Hüte. Sie stehen ihr am besten.
Was ist stehen? Indikativ oder Konjunktiv? In beiden Zeitformen lautet die 3. Person Plural stehen. Hat Delia das also gesagt? Oder ist das mein eigenes Urteil? Das lässt sich nicht entscheiden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte ich mir mit dem Konjunktiv II behelfen:
- Delia sagt, sie trage am liebsten grüne Hüte. Sie ständen ihr am besten.
Vielleicht finde ich die grünen Hüte an ihr ja furchtbar. Dann wäre es besonders wichtig zu markieren, dass die positive Beurteilung von Delia stammt, nicht von mir.
Übrigens: Um die richtige Form des Konjunktivs I und II zu finden, hilft oft nur ein Blick in die Konjugationstabellen. Haben Sie also gar nicht den Anspruch, dass Sie das ad hoc draufhaben müssen.
Wann verwende ich würde?
Manchmal hilft selbst das Ausweichen auf den Konjunktiv II nicht.
- Konjunktiv I: Finn meinte, es sei alles anders verlaufen als geplant. Sie warten schon zu lange.
Wer findet, dass sie schon zu lange warten – Finn oder ich? Das lässt sich nicht klären, da sowohl der Indikativ als auch der Konjunktiv von warten „warten“ lautet.
Also Konjunktiv II?
- Konjunktiv II: Finn meinte, es sei alles anders verlaufen als geplant. Sie warteten schon zu lange.
Oh je: Ist „warteten“ nun Konjunktiv II oder Indikativ Präteritum? Beide Zeitformen lauten gleich. Wieder ist also nicht eindeutig erkennbar, wer die Aussage trifft.
In solchen Fällen können wir auf würde ausweichen:
- Finn meinte, es sei alles anders verlaufen als geplant. Sie würden schon zu lange warten.
Umgang mit ungebräuchlichen Formen
Wenn eine Konjunktivform ungebräuchlich ist, ist es erlaubt, auch ohne Not auf die nächste Stufe zurückzugreifen.
- Korrekt mit Konjunktiv I: Er meint, ihr stehet an der falschen Stelle.
- Aber üblicher mit Konjunktiv II: Er meint, ihr ständet an der falschen Stelle.
- Korrekt mit Konjunktiv II: Die Touristen behaupteten, sie kennten sich aus.
- Aber üblicher mit würden: Die Touristen behaupteten, sie würden sich auskennen.
Interessanterweise klingt der Konjunktiv II oft „normaler“ als der Konjunktiv I. So wird die folgende Formulierung leicht als geziert empfunden:
- Konjunktiv I: Sie sagte, das Baby komme nach seinem Vater.
Häufig wird man daher die Alternativen lesen oder hören:
- Konjunktiv II: Sie sagte, das Baby käme nach seinem Vater.
- Mit würde: Sie sagte, das Baby würde nach seinem Vater kommen.
In der Alltagssprache ist das auch absolut kein Drama. Wichtig ist die korrekte Wahl eher bei anspruchsvollen Publikationen.
Fazit: Der Konjunktiv als Retter – oder auf verlorenem Posten?
Im Grunde ist das Ganze weniger kompliziert, als es den Anschein hat. Denn worum geht es? Um einen präzisen Ausdruck. Solange keine Missverständnisse entstehen, ist alles gut. Dann können Sie auch zum Indikativ greifen.
Der Konjunktiv ist immer dann genial, wenn Sie sichergehen wollen, richtig verstanden zu werden: etwa um nicht in die Nähe einer Aussage gebracht zu werden, die Sie gar nicht teilen, oder um klarzumachen, wer hier was gesagt hat. Auch die „Behelfsformen“ Konjunktiv II und würde sind praktisch, wenn man sich einmal ihren Einsatz klargemacht hat.
Mag er also auch manchmal kompliziert erscheinen: Ohne den Konjunktiv müssten wir noch viel größere Mühen aufwenden, um uns klar und präzise auszudrücken. Es wäre ein herber Verlust, wenn er sich aus unserer Sprache verabschieden würde – weil Sprechende nicht mehr bereit sind, den Aufwand zu treiben.
Haben Sie den Eindruck, der Gebrauch des Konjunktivs sei bereits zurückgegangen? Geben Sie gerne Ihre Einschätzung im Kommentarfeld.
Konjunktiv, mon amour
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Matthias meint
Super Beitrag, vielen Dank! Genau darum ist er eben unverzichtbar: Um Distanz zum Gesagten zu schaffen oder um klarzumachen, ob ich meine oder eine fremde Meinung oder Aussage wiedergebe. Sehr übersichtlich und unterhaltsam geschrieben! Danke!
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Matthias,
vielen Dank für Ihr nettes Feedback! Schön, dass Sie den Konjunktiv hochhalten. 🙂
Viele Grüße
Annika Lamer
Celine Tüyeni meint
Genialer Beitrag, danke Dir! Ich gestehe: Ich mache das frei nach Gefühl.
Hehe, wie wäre das jetzt aus Deiner Sicht richtig?
Sie gesteht, sie macht das nach Gefühl.
Sie gesteht, sie mache das nach Gefühl.
Hui!
Glg Celine
Dr. Annika Lamer meint
Liebe Celine,
das ist ein Fall, wo der Konjunktiv nicht unbedingt nötig ist. „Sie gesteht, sie macht das nach Gefühl“ ist nicht missverständlich. Für welche Version man sich dann entscheidet, hängt davon ab, wie sehr man auf den Konjunktiv steht. 😉
Danke für dein liebes Feedback!
Liebe Grüße
Annika
Hans meint
Ja, ich habe den Eindruck, der Gebrauch des Konjunktivs ist bereits zurückgegangen; zunächst wurde nur noch die Fügung mit „würde“ verwendet, weil die Kunjunktivformen der Verben – selten gebraucht – als veraltet angesehen wurden oder mühsam zu merken waren. Heute sind die meisten Feinheiten des sprachlichen Ausdrucks sowieso auf der Strecke geblieben, weil man nur noch Kurznachrichten von sich gibt …
Daher: Danke für die klar strukturierte und ermutigende Lanze für den Konjunktiv!
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Hans,
das stimmt – mit „würde“ ist es am einfachsten. Kein Kopfzerbrechen über die richtige Endung mehr nötig. Ich kann mir vorstellen, dass das noch mehr um sich greifen wird.
Danke für Ihr Feedback!
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Róka Gyöngyvér meint
Liebe Annika,
vielen Dank für Ihre absolut klar strukturierte, gut verständliche Erklärung.
Ich als Deutschlehrerin (in Ungarn) kann das sehr gut benutzen, vor allem bei Schülern auf höherem Sprachniveau.
Ich hätte aber gern eine Frage: Sie haben zwei Beispiele mit 2 verschiedenen Konjunktiv-Formen von „stehen“ angegeben. Und zwar: stünden / ständet. Ich persönlich benutze die Form „stünde“. Sind wohl beide Formen richtig?
Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.
Viele Grüße
Gyöngyös
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Gyöngyös,
vielen Dank für Ihren netten Kommentar!
Ja, von „stehen“ gibt es zwei Konjunktiv-II-Formen: stände oder stünde. Super, dass Ihnen das aufgefallen ist. Ich habe mich jetzt an beiden Stellen für das ä entschieden, um es einheitlicher zu machen.
Die ungarischen Schüler und Schülerinnen tun mir schon etwas leid!
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Eberhard meint
Sehr schön erklärt, danke! Elegante Lösungen 🙂
Gisela Keunecke meint
Sehr gut verständlich erklärt!
Ich befürchte, der Konjunktiv wird immer mehr verschwinden, jedenfalls im Mündlichen.
Ich verwende ihn abhängig von meiner/m GesprächspartnerIn bzw. dessen Sprachniveau.
Das geschieht nicht selten auch deshalb, um gegenüber sprachlich weniger Versierten nicht als überlegen oder gar arrogant angesehen zu werden. Man kann mit seiner Ausdrucksweise unmittelbar Distanz schaffen. Manchmal ist das aber durchaus auch gewollt.
Stefan Linge meint
Vielen Dank für diese hilfreichen Erläuterungen! Allerdings: Frügen Sie mich nun, ob ich wisse, wie man diesen Satz hier in indirekter Rede formulieren könne, so müsste ich passen, da er bereits Konjunktive enthält 😉 – Vielleicht werden diese Konjunktive dann unverändert übernommen: „Der Leser meint, er ?müsste? passen, wenn ich ihn ?früge?, ob er ?wisse?…“
Es gibt natürlich noch einfachere Beispiele: „Du solltest/könntest Dein Zimmer aufräumen!“ -> „Der Vater meinte, der Sohn ?sollte?/?könnte? sein Zimmer aufräumen.“
Was meinen Sie – wie lautet der Konjunktiv eines Konjunktivs? Vielen Dank im Voraus und beste Grüße!
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Linge,
zunächst ein Einwand: „Du solltest dein Zimmer aufräumen“ ist kein Konjunktiv, sondern ein Präteritum. 🙂
Nehmen wir also besser „könnte“: „Du könntest ruhig mal dein Zimmer aufräumen!“
„Der Vater meinte, der Sohn könnte ruhig mal sein Zimmer aufräumen“ ist klar genug. Wir haben ein redeeinleitendes Verb, da brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen.
Und ohne redeeinleitendes Verb?
„Vater ist wütend. Thomas könnte ruhig mal sein Zimmer aufräumen.“
Hier ist jetzt unklar, ob der Vater das sagt oder ob es die Aussage des Erzählers ist. Meiner Ansicht nach kann man das aber nicht lösen. Es wäre dann angebracht, ein redeeinleitendes Verb zu verwenden.
Hoffentlich habe ich mich verständlich ausgedrückt?
Viele Grüße
Annika Lamer