Wäre es nicht schön, mehr Menschen würden Ihre Botschaften verstehen? Dieses Ziel hat sich meine Kollegin Clia Vogel mit ihrer Agentur Worte für Alle auf die Fahnen geschrieben. Im Auftrag von Unternehmen und Institutionen schreibt sie leicht lesbare Texte, die auch Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geringen Deutschkenntnissen verstehen können. Mehr darüber erzählt sie im Interview.
Wie bist du darauf gekommen, dich auf leicht lesbare Texte zu spezialisieren?
Vor ein paar Jahren war ich an der Uni Mainz zu einem Abendvortrag. Referentin Kerstin Probiesch, Beraterin für barrierefreies Internet, beleuchtete die Frage: “Wie social sind Social Media?” Während Kerstins Vortrag habe ich zum ersten Mal von Leichter Sprache gehört.
Ich erinnerte mich sofort daran, wie ich als Studentin oft viel Zeit mit schlecht geschriebenen Fachbüchern verschwenden musste. Jeder Satz eine Aneinanderreihung von Fremdwörtern und Fachbegriffen. Oft ohne erkennbare Satzstruktur. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie sehr manche Menschen jeden Tag mit geschriebenen Worten kämpfen. Und auch, wie zeitraubend und frustrierend dieser Kampf oft sein muss. So sehr, dass Einige dann lieber gar nicht mehr lesen.
Was sind das für Unternehmen, die dich beauftragen? Wo setzen sie deine Texte ein – und was versprechen sie sich davon?
Leicht lesbare Texte sind für Unternehmen interessant, die alle Menschen erreichen wollen. Unabhängig von Bildung und Einkommen. Im Moment kommen die Anfragen hauptsächlich von Anbietern sozialer Dienstleistungen und aus der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Natürlich haben auch Politik, Verwaltung und das Gesundheitswesen großen Bedarf.
Leicht lesbare Texte werden überall eingesetzt. Im Netz ebenso wie für Kundenbroschüren, Briefe und Formulare. Besonders sinnvoll sind leicht lesbare Texte in der Beratung.
Unternehmen, die ihren Kunden gut verständliches Informationsmaterial in die Hand geben können, brauchen weniger Zeit für Sprechstunden. Und es entstehen weniger Missverständnisse. Das spart Personal- und möglicherweise auch Anwalts- und Gerichtskosten. Ein weiterer Vorteil: Der Kunde fühlt sich verstanden und gut aufgehoben. So entsteht Kundenbindung. Und alles, was für die Kunden gilt, gilt natürlich auch für die eigenen Mitarbeiter.
Wodurch zeichnen sich leicht lesbare Texte aus? Gehst du nach festen Regeln vor oder musst du diese Regeln bei jedem Auftrag neu definieren?
Grundsätzlich unterscheide ich zwischen Leichter, leichter und einfacher Sprache.
Leichte Sprache mit großem „L“ folgt den Regeln vom Netzwerk Leichte Sprache. Diese Texte sollen auch Menschen mit Sprachproblemen und Lernschwierigkeiten verstehen. Ein Unternehmen, das mit dem Einsatz von Leichter Sprache werben will, muss seine Texte vom Netzwerk Leichte Sprache prüfen lassen. Die Regeln für diese Prüfung sind streng und beinhalten auch Gestaltungsvorgaben sowie die Prüfung selbst.
Ich halte diese Prüfung für enorm wichtig, weil die Prüfer alle Menschen mit Lernschwierigkeiten sind. Und ein Mensch ohne Lernschwierigkeiten kann das besondere Expertenwissen dieser Personengruppe niemals erreichen.
Aus unterschiedlichen Gründen folgen nicht alle Kunden meiner Empfehlung, ihre Texte prüfen zu lassen. Deshalb biete ich auch Texte in leichter Sprache mit kleinem „l“. Auch hier folge ich, so weit es der Kunde zulässt, den Regeln vom Netzwerk Leichte Sprache. Die Grenze ist meist dort erreicht, wo das Corporate Design erweitert werden müsste oder Kosten für die Sprachprüfung anfallen.
Für einfache Sprache gibt es keine Regeln. Jeder Kunde bestimmt selbst, wie einfach seine Texte sein sollen. Manche Unternehmen möchten lediglich auf Schachtelsätze, Fremdwörter und Fachbegriffe verzichten. Andere wollen sich so weit wie möglich der Leichten Sprache annähern.
Besteht bei den Unternehmen nicht manchmal die Sorge, sie könnten selbst als „einfach“ wahrgenommen werden, wenn sie sich einer einfachen Sprache bedienen?
Nein. Wenn ich im Rahmen meiner Akquise an ein Unternehmen herantrete, liefere ich Textbeispiele mit. So können alle sofort sehen, um was es geht. Allerdings gibt es Unternehmen, die gar nicht verstanden werden wollen. Und natürlich gibt es auch solche, die einfache Sprache von sich aus haben möchten. Weil sie schon davon gehört oder gelesen haben. Oder weil ein Wettbewerber mit gutem Beispiel vorangeht.
Du schreibst nicht nur Texte in leichter Sprache, sondern beschäftigst dich auch mit barrierefreier Kommunikation. Was genau bedeutet das?
Barrierefreie Kommunikation hat drei Säulen. Leicht lesbare Texte, gut erkennbare Gestaltung und (wenn es um Webseiten geht) einfache Navigation. Gut erkennbare Gestaltung erleichtert das Sehen und Erkennen. Mit einfacher Navigation findet sich der Nutzer besser auf einer Webseite zurecht.
Ich verfüge da mittlerweile über ein Netzwerk an Experten für die verschiedenen Bereiche. Kollegen, mit denen ich arbeite. Denn obwohl ich mich natürlich in alle drei Bereiche eingearbeitet habe, um sie zu verstehen, kann ich nicht alles selber umsetzen.
Und zum Schluss: Was ist für dich das Schönste an deiner Arbeit?
Erstens: Die Detektivarbeit, die manchmal nötig ist, um zu verstehen. Es gilt: Je einfacher der Text, desto genauer muss der Inhalt vom Schreiber verstanden sein. Ich liebe es, wenn ich immer wieder neue Themenfelder durchpflügen kann, damit später ein Text heranwächst. Zweitens: Die Freude, wenn ich meinen schwer erarbeiteten Inhalt als einfachen Text auf einer gut gestalteten Webseite sehe. Oder auf einem Blatt bedrucktem Papier. Und das Allerschönste daran: Der Kunde freut sich meistens mit mir!!
Vielen Dank, Clia, für diesen Einblick in das Thema leichte Sprache.
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