Damoklesschwert, Pyrrhussieg und Gretchenfrage – bestimmt haben Sie diese Ausdrücke schon mal gelesen. Doch was bedeuten sie eigentlich genau?
Machen wir Schluss mit dem Halbwissen! Für Sie nehme ich einige interessante Wendungen literarischen, (film-)historischen und mythologischen Ursprungs genauer unter die Lupe. In einer kleinen Blogreihe erfahren Sie ihre Geschichte und Bedeutung – egal ob für die Feuilleton-Lektüre, eigene Sprachkapriolen oder als Angeberwissen beim nächsten Stammtisch.
Komplex oder einfach?
Klar: Diese Ausdrücke sind bildungssprachlich. Wenn Sie sich an eine breite Masse wenden, sind sie fehl am Platz. Ich nenne daher zu jedem Beispiel auch immer eine einfache Alternative.
Das Bemühen, sich möglichst einfach auszudrücken, sollte jedoch nicht dazu führen, dass solche Ausdrücke verloren gehen. Das Tolle an ihnen ist nämlich: Sie transportieren unglaublich viel – eine ganze Geschichte. Eine Gretchenfrage ist eben etwas ganz anderes als eine einfache Frage, und ich muss nicht ewig weit ausholen, um das alles zu erklären. Der einzelne Begriff reicht.
Das nützt Ihnen allerdings nichts, wenn Ihr Gegenüber nicht weiß, was eine Gretchenfrage alles beinhaltet. Daher: Bewahren Sie Augenmaß.
Im ersten Beitrag schauen wir uns an: Damoklesschwert, Parforceritt, Ei des Kolumbus, Zampano, Gretchenfrage.
Damoklesschwert
Beispiel: Das bevorstehende Gespräch schwebte wie ein Damoklesschwert über ihm.
Einfach ausgedrückt: Er hatte Angst vor dem bevorstehenden Gespräch.
Woher kommt der Ausdruck?
Wir schreiben das 4. Jahrhundert v. Chr. Damokles ist ein Höfling des Tyrannen Dionysios I. von Syrakus, stets erpicht, an dessen Reichtum und Macht teilzuhaben. Dionysios beschließt, Damokles eine Lektion zu erteilen. Bei einem Festmahl lässt er über Damokles’ Platz ein Schwert aufhängen, das nur von einem Pferdehaar gehalten wird. Als Damokles das Schwert über seinem Kopf bemerkt, kann er das Essen nicht mehr genießen und bittet schließlich darum, sich entfernen zu dürfen.
Man kann die Geschichte so lesen, dass Macht und Reichtum nicht alles sind. Das Glück kann jederzeit zerstört werden.
Die zweite Lesart ist, dass eine privilegierte Position auch Gefahren mit sich bringt. Wer Macht hat, hat auch Feinde. Das passt insbesondere zu einer zweiten Version der Geschichte, in der Damokles auf dem Herrscherthron Platz nehmen soll, über dem das Schwert angebracht ist.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Der Duden übersetzt das Damoklesschwert relativ drastisch: „deutlich erkennbare, vorhandene Gefahr, von der jemand jeden Augenblick die Vernichtung o. Ä. gewärtigen muss“.
Meiner Ansicht nach muss es nicht gleich um eine lebensbedrohliche Gefahr gehen. Es reicht, dass einem etwas Unangenehmes bevorsteht:
Er wusste, dass er seiner Vorgesetzten den Fehler beichten musste. Das bevorstehende Gespräch schwebte wie ein Damoklesschwert über ihm.
Versetzen Sie sich in Damokles hinein, wie er da an der Festtafel sitzt und Blut und Wasser schwitzt und kaum einen Bissen runterkriegt. So geht es jemandem, der ein Damoklesschwert über sich fühlt.
Parforceritt
Beispiel: Seine Präsentation war ein Parforceritt durch die Grundlagen der Neurophysik.
Einfach ausgedrückt: Seine Präsentation handelte von den Grundlagen der Neurophysik.
Woher kommt der Ausdruck?
Der Ausdruck Parforceritt stammt von der Parforcejagd. Damit bezeichnet man eine Hetzjagd zu Pferd mit einer Hundemeute. (Par force bedeutet auf Französisch „mit Gewalt“.) In Frankreich werden solche Hetzjagden noch betrieben, in Deutschland sind sie zum Glück verboten.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
So eine Hetzjagd zu Pferd war wohl nicht ohne. Deshalb bezeichnet ein Parforceritt übertragen gemeint eine „mit großer Anstrengung, unter Anspannung aller Kräfte bewältigte Leistung“ – so der Online-Duden. Als Beispiel wird der „Parforceritt durch die Weltgeschichte“ genannt. Hier wird es unsauber, denn man könnte nicht übersetzen mit „eine große Leistung durch die Weltgeschichte“.
Besser passt es, den Ritt gesondert zu betrachten – als einen zurückgelegten Weg. Also: Ein Parforceritt ist ein im übertragenen Sinn zurückgelegter Weg, für den besondere Anstrengungen nötig waren.
Positiv gelesen könnte man sagen: Hut ab vor dieser Leistung – so wie es in der Duden-Definition anklingt. Mir persönlich würde da jedoch die Wortherkunft sauer aufstoßen. Lieber würde ich auf das Brachiale der Hetzjagd abzielen: etwas wird in hohem Tempo und ohne Rücksicht auf Verluste durchgedrückt. Schreiben wir also:
Seine Präsentation war ein Parforceritt durch die Grundlagen der Neurophysik. Von dem Tempo konnte einem ganz schwindlig werden.
Stellen Sie sich den wilden Galopp vor, das Geräusch der Jagdhörner, die geifernden Hunde. Und das arme gejagte Wild …
Das Ei des Kolumbus
Beispiel: Dein Vorschlag ist noch nicht das Ei des Kolumbus, aber er bringt uns ein Stück weiter.
Einfach ausgedrückt: Dein Vorschlag löst zwar nicht alle Probleme, aber er bringt uns ein Stück weiter.
Woher kommt der Ausdruck?
Die Redensart geht auf eine Anekdote über Christoph Kolumbus zurück. Nach seiner Rückkehr aus Amerika ist er zu einem Festessen eingeladen. Seine Tischnachbarn spotten, die Entdeckung der Neuen Welt sei doch ein Leichtes gewesen. Kolumbus nimmt daraufhin ein gekochtes Ei und fordert die anderen auf, es auf die Spitze zu stellen. Niemandem gelingt es, bis Kolumbus übernimmt. Er schlägt die Spitze des Eis auf den Tisch, et voilà, das Ei steht.
Als die Gäste protestieren, das hätten sie ja wohl auch gekonnt, antwortet Kolumbus: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Mit dem Ei des Kolumbus bezeichnet man eine einfache Lösung für ein vertracktes Problem. Meist wird es mit dem Verb „finden“ verwendet: Leider haben wir das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden. Streng genommen passt das nicht ganz, denn in der Anekdote wird ja kein Ei gesucht und gefunden. Gefunden wird die Lösung. Bleiben wir also ruhig bei:
Dein Vorschlag ist noch nicht das Ei des Kolumbus.
Interessant ist übrigens, dass etwas meist nicht das Ei des Kolumbus ist. Denn seien wir doch mal ehrlich: Eine simple Lösung für ein vertracktes Problem, an dem sich alle zuvor die Zähne ausgebissen haben, gibt es nur selten.
Ich kenne auch noch den Ausruf: „Beim Ei des Kolumbus, das ist es!“ Das kann jemand rufen, wenn ihm etwas wie Schuppen von den Augen fällt.
Zampano
Beispiel: Du brauchst hier nicht den großen Zampano zu machen.
Einfach ausgedrückt: Spiel dich nicht so auf.
Woher kommt der Ausdruck?
Zampano ist eine der Hauptfiguren aus Federico Fellinis Film La Strada – Das Lied der Straße von 1954, gespielt von Anthony Quinn. Der rabiate Zampano zieht als Schausteller durchs Land. Bei seiner Nummer sprengt er vor seinem Publikum eine um den Brustkorb gelegte Eisenkette. Dabei tut er sich als prahlerischer Wichtigtuer hervor, der lautstark im Mittelpunkt zu stehen sucht.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Zampanos Charakter ist alles andere als sympathisch; die ursprüngliche Bedeutung ist also negativ. Wikipedia weist jedoch darauf hin, dass sich der Gebrauch etwas gewandelt hat. Ein Zampano kann auch ein Anführer sein, ein Macher, der die Fäden in der Hand hat.
Das spiegelt sich beispielsweise wider in dem Satz: „Ich habe keine Lust, für euch immer den Zampano zu spielen.“ Gemeint ist: Die Person hat keine Lust, sich immer um alles zu kümmern und für Entertainment zu sorgen. Hier fallen die negativen Charakterzüge des Zampano nicht so ins Gewicht.
Gretchenfrage
Beispiel: Da musst du ihr wohl die Gretchenfrage stellen.
Einfach ausgedrückt: Das wirst du sie fragen müssen.
Woher kommt der Ausdruck?
Die Gretchenfrage geht auf Faust I zurück, Goethes berühmte Tragödie. Gretchen ist ein junges Mädchen, das von dem älteren Wissenschaftler Faust umworben wird. In einer Szene fragt sie Faust:
„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“
Was Gretchen nicht weiß: Faust hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Daher ist ihm die Frage unangenehm, und er weicht Gretchen aus. Gretchen aber hat genau die richtige Frage gestellt; sie hat seinen wunden Punkt getroffen.
Wann kann ich den Ausdruck benutzen?
Die Gretchenfrage kann verschiedene Dimensionen annehmen. Im engeren Sinne ist es die Frage nach der Religion; das soll uns hier aber nicht so sehr interessieren. Eine Gretchenfrage ist …
- eine schwerwiegende, bedeutsame Frage, die an den Kern des Problems geht
- eine Fangfrage, mit der man „durch die Hintertür“ erreichen möchte, dass der andere etwas preisgibt
- eine Frage, die zu einer klaren Entscheidung, einem Bekenntnis auffordert
- eine Frage, die als heikel oder peinlich empfunden wird
All das trifft auf Faust zu. Ich finde diese vielen verschiedenen Dimensionen höchstspannend. Nehmen wir zu meinem Beispielsatz noch einen Kontext hinzu:
Da musst du ihr wohl die Gretchenfrage stellen: Möchte sie den Job wirklich noch zehn Jahre machen?
Wenn ich das als Gretchenfrage bezeichne, steckt viel mehr drin als eine einfache Frage. Die befragte Person muss sich damit auseinandersetzen, ob ihr aktueller Job wirklich das ist, was sie erfüllt – mit Konsequenzen für alle Beteiligten.
Fazit: Für eine reichhaltige Sprache
Das Schöne an den Ausdrücken ist, dass Sie mit ihnen Ihrer Aussage eine große Tiefe verleihen können. In nur einem Wort denken Sie mehrere, zum Teil komplexe Dimensionen mit. Aber, ganz klar: Das funktioniert nur, wenn Ihr Gegenüber diese Dimensionen auch erkennt.
Ein bisschen Nerdwissen schadet aber nie – spätestens, wenn Sie das nächste Mal vor einer Gretchenfrage stehen. Welcher Ausdruck hat Ihnen am besten gefallen? Lassen Sie mir gerne einen Kommentar da.
PS: Falls Sie jetzt den eingangs erwähnten Pyrrhussieg vermissen – der kommt im nächsten Teil dran.
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Ulrich Becher meint
Zur Frage, welche Wendung am besten gefällt:
Bei mir das Ei des Kolumbus. Und zwar, weil ich die Geschichte dazu nicht kannte. Die Wendung kenne ich mehr im Sinne einer noch nicht gefundenen Lösung; die Überraschung fehlt dabei. Das ist schade, denn die ist für mich der Clou: Ihr hättet können, aber Ihr wart gefangen in Euren selbstgedachten Regeln! Die Geschichte erinnert mich an den Gordischen Knoten, um auch etwas Nerdiges einzubringen.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Becher,
„Ihr hättet können, aber Ihr wart gefangen in Euren selbstgedachten Regeln“ – ja, sehr schön, ein spannender Aspekt.
Der gordische Knoten kommt in Teil 2 dran. 😃
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Reinhard Siegismund meint
Die anschaulichen „Floskeln“ – nicht abwertend gemeint – sind wunderbar klar erklärt, dafür danke ich. Die Leser, für die ich schreibe, sind allerdings Juristen und die Parteien, die vor Gericht streiten. Mit Maßen kann ich diese Ratschläge befolgen, aber immer wieder ist es hilfreich ganz direkt und einfach ohne Fremdworte, oder diese erklärt, den Sachverhalt zu schildern. Meine Text lesen hochgebildete und auch einfache Mitmenschen, die beide den Text verstehen müssen.
Dr. Annika Lamer meint
Lieber Herr Siegismund,
ich setze mich auch immer für eine einfache Sprache ein, Sie machen das genau richtig. Deshalb betone ich im Beitrag auch, dass man solche bildungssprachlichen Begriffe natürlich nicht einfach blind benutzen sollte.
Spaß machen sie trotzdem – und sei es, dass man sie nur liest und den eigenen Kopf dabei anregt. ☺️
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Martina Schmid meint
Vielen Dank Frau Lamer für diese wie immer interessanten Ausführungen und die Erklärungen zu den einzelnen Ausdrücken. Diese Floskeln tragen enorm zur Reichhaltigkeit einer Sprache bei und für uns als Übersetzer sind sie immer eine ganz besonders harte Nuss – da sie selten in eine andere Sprache übertragen werden können. Aber das ist ein anderes Thema 🙂
Mein Favorit ist das Ei des Kolumbus – das ich aber auch wie im Kommentar oben von Hr. Becher eher als eine noch nicht gefundene Lösung interpretiert hätte.
Viele Grüße und ich freue mich schon auf Teil 2
Martina Schmid
Dr. Annika Lamer meint
Liebe Frau Schmid,
oh ja, auch aus Übersetzersicht ein spannendes Thema!
Zum Ei des Kolumbus: Ja klar, das schrieb ich ja auch, dass es meist im Sinne einer noch nicht gefundenen Lösung verwendet wird: „Das war noch nicht das Ei des Kolumbus.“ Man braucht aber meines Erachtens das Wort „nicht“. Das Ei selbst *ist* die Lösung. 😊 Beispiele: Auf der Suche nach dem Ei des Kolumbus, das Ei des Kolumbus hat noch keiner gefunden, wir sind noch weit entfernt vom Ei des Kolumbus, sollen wir wirklich auf das Ei des Kolumbus warten?
Danke für das liebe Feedback und viele Grüße
Annika Lamer
Simone meint
Ich liebe es die Geschichten hinter solchen Ausdrücken oder Redewendungen zu kennen. Danke für die kurzen einfachen Erklärungen.
Ich finde es generell spannend wie Sprache sich entwickelt – also welchen Ursprung Worte habe. Aktuell gefällt mir zum Beispiel, dass man Filme oder Musik vorspult. Doch eine Spule gibt es dabei nur noch in Ausnahmefällen. Wir sind noch damit aufgewachsen, aber sagen Sie mal den Kindern, dass man Videokassetten nur zurückgespult zurückgeben durfte. 😅
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Simone,
das ist auch ein schöner Ansatz – Wörter zu sammeln, die man noch verwendet, obwohl ihr inhaltlicher Ursprung heute nicht mehr zutrifft. Wenn Sie oder andere Mitlesende noch weitere Beispiele haben, gerne her damit. 😊
Viele Grüße
Annika Lamer
Marion Möller meint
Hallo Frau Lamer,
mir gefällt die Gretchen-Frage am besten. Aus dem einfachen Grund, weil sie mir immer ein bisschen ein Rätsel war. Ich habe zwar die Bedeutung irgendwie geahnt, im Kontext erfasst, aber Ihre Erklärung bringt ein viel „tiefgründigeres“ Licht ins Dunkel. Mir gefällt daran die Komplexität, die in der Frage verborgen ist und auch, wie Sie sie darlegen.
Ich habe aber auch noch eine Frage:
Nennt man Goethes Werk, spricht man doch immer von Faust eins oder vielleicht noch von Faust, erster Teil. Sie schreiben aber Faust I. – mit Punkt. Liest sich das nicht falsch? Es sieht ja aus wie Faust der Erste 😄 Bin darüber gestolpert. Klären Sie mich gerne auf ….
Beste Grüße, Marion Möller
Dr. Annika Lamer meint
Liebe Frau Möller,
mit der Gretchenfrage ging es mir genauso wie Ihnen. 😊
Der Punkt nach „Faust I“ war ein Typo, vielen Dank für den Hinweis. 😃
Viele Grüße
Annika Lamer
Babett meint
Liebe Frau Lamer,
vielen Dank für diesen interessanten und aufschlussreichen Artikel und ihre Inspiration. Mir persönlich hat das Ei des Kolumbus am Besten gefallen. Eine wunderbare Geschichte, die mir bisher noch nicht bekannt war.
Mit besten Grüßen,
Babett
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Babett,
freut mich, dass Ihnen der Beitrag Freude bereitet hat!
Viele Grüße
Annika Lamer