Wenn der geschriebene Text ein Anzugträger ist, ist die gesprochene Sprache seine Hippieschwester. Und von der kann sich unser Anzugträger eine Scheibe abschneiden: Ein bisschen mehr Hippie tut jedem Text gut. „Schreiben Sie so, wie man spricht“ – diesen Tipp wiederhole ich hier immer gerne. Aber was macht sie eigentlich aus, die gesprochene Sprache? Und wie genau holt man sie in den Text?
Von Stärken und Schwächen
Sich selbst seine Texte zu diktieren, ist jedenfalls noch nicht die Lösung. Sie können sich ja mal spaßeshalber aufnehmen und das Gesagte transkribieren. Wenn Sie nicht gerade ein geborener Redner sind, ist das Ergebnis sicher alles andere als druckreif. Zusammengestoppelte Gedankenfetzen, gespickt mit also, ja und doch, ganz zu schweigen von jeder Menge ähms und öhms.
„Schreiben Sie so, wie man spricht“ meint also nicht, dass Sie tatsächlich eins zu eins vom Mündlichen ins Schriftliche gehen würden. Vielmehr gibt es ein paar löbliche Eigenschaften, die Sie sich von der gesprochenen Sprache abschauen können. Hier sind sie.
1. Keine gestelzte Sprache
Würden Sie im Mündlichen von der funktionellen Konstruktivität Ihres Produktes sprechen – oder doch eher von der praktischen Beschaffenheit? Eine gestelzte, fachsprachliche Ausdrucksweise ist allenfalls im Wissenschaftsbereich zu rechtfertigen. Nicht jedoch, wenn es darum geht, mit Ihren Kunden zu kommunizieren.
Die Gefahr bei solchen schriftlich konstruierten, verquasten Formulierungen ist übrigens auch, dass man sie – ob bewusst oder unbewusst – ins Mündliche mit übernimmt. Das aber ist für den Zuhörer noch unangenehmer, als sie nur zu lesen.
2. Kurzsätze
In der Schule haben wir gelernt: Ein Satz braucht Subjekt, Prädikat, Objekt. In der gesprochenen Sprache hingegen sind Kurzsätze gang und gäbe: „Kein Problem.“ „Hab ich doch gesagt.“ Glücklicherweise ist ein Werbetext oder Blogartikel kein Aufsatz. Also her mit den Kurzsätzen! Sie lockern Ihren Text auf und machen ihn leichter zu lesen. „Ein Moment, der im Gedächtnis bleibt.“ „Schön wie nie.“
Ebenso können Sie Ihre Sätze getrost mit und, oder oder weil beginnen. Kein Lehrer wird es Ihnen mehr anstreichen.
3. Eingestreute Fragen
Wenn Sie sprechen, haben Sie Zuhörer. Also solche, die direkt vor Ihnen stehen. Es hilft, wenn Sie sich dasselbe auch beim Schreiben vorstellen. Ihrem unsichtbaren Gegenüber können Sie Fragen stellen: „Kennen Sie auch das Problem?“ „Wie oft im Jahr passiert Ihnen das?“ Das lockert Ihren Text auf und hält den Leser wach.
4. Pausen
Beim Sprechen machen wir Pausen. Sei es als Denkpause für uns selbst – oder um das zuvor Gesagte erst einmal auf unser Gegenüber wirken zu lassen, seine Reaktion abzuwarten. Halten Sie es auch in Ihren Texten so: Denken Sie an genügend Luft zwischen Ihren Gedanken. Jeder Gedanke ein Absatz, so lautet die Faustregel.
5. Umgangssprachliches
Meinen Satz „Aber was macht sie eigentlich aus, die gesprochene Sprache?“ hätte mir mein Deutschlehrer sicher angestrichen. Falsch ist so ein Spaltsatz nicht, nur umgangssprachlich. (Korrekt im Sinne des Deutschlehrers wäre: „Aber was macht die gesprochene Sprache eigentlich aus?“)
Außerdem habe ich in diesem Beitrag bereits ein paar umgangssprachliche Begriffe verwendet: spaßeshalber, zusammenstoppeln, verquast. Hat es Sie gestört? Ich hoffe nicht. Wenn ich Glück habe, hat es sogar zu Ihrem Lesevergnügen beigetragen. Mein Rat also: Nur Mut zur Umgangssprache!
Umgangssprache in Blog und Werbetext
Allerdings: Es handelt sich hier um einen Blogbeitrag, nicht um einen Werbetext. Die große Freiheit haben Sie nur im Blog. Hier können Sie auch Verkürzungen benutzen: was statt etwas, erst mal statt erst einmal, runter statt herunter, gibt’s statt gibt es. Auch gegen regional geprägte Floskeln wie gell ist im Blog nichts einzuwenden.
Ein Werbetext hingegen ist vom Tonfall in der Regel seriöser. Hier müssen Sie genauer prüfen, ob Ihre Ausdrucksweise der Sache gerecht wird. Manchmal kann ein umgangssprachlicher Ausdruck aber auch das entscheidende Etwas beitragen, etwa bei einem Slogan.
Achten Sie auf das rechte Maß
Doch Vorsicht: Allzu derbe Begriffe sollten Sie sich verkneifen. Bei groben Grammatikschnitzern hört für mich der Spaß ebenfalls auf. („Unser Produkt ist besser als wie die Konkurrenz.“ „Unser Produkt wird Ihre Probleme lösen, weil damit können Sie besser schlafen.“)
Fazit: Reden ist Gold
Anleihen an die mündliche Sprache machen Ihren Text also leichter zu lesen, bekömmlicher. Ihr Text, der Anzugträger, lockert seine Krawatte und steckt sich eine Blume ins Haar. Und es gibt noch einen Vorteil: Wenn Sie schreiben, wie Sie sprechen, klingt der Text mehr nach Ihnen. Er wird einzigartig, origineller.
Wie weit Sie dabei gehen können, hängt ganz von Textgattung, Zielgruppe und Sprechanlass ab. Ein Blogbeitrag darf flapsiger klingen als ein Werbetext, ein Schuhverkäufer kann lockerer daherreden als ein Anwalt. Das richtige Gespür dafür wird sich schon einstellen – Sie müssen sich nur trauen. Also dann: Hauen Sie in die Tasten und reden Sie los.
Lesen Sie auch:
Texte auflockern: 7 Tipps, wie Sie Ihre Leser bei der Stange halten
Leichtigkeit im Werbetext
Aktive Sprache: So schreiben Sie lebendige Texte
Alex L meint
Hallo Annika,
vielen Dank für diesen hilfreichen Blogpost und da Deutsch nicht meine erste Muttersprache ist, muss ich mit dem auskommen, was ich zur Zeit sprachlich gesehen habe. Aber so schlecht ist es ja nicht, nur eben, zu sehr umgangssprachliche Dinge sind mir vermutlich weniger bekannt. Deutsch zu lernen, fing ich erst mit 14 an, wo jeder hier Geborener perfekt Deutsch sprechen müsste.
Durch das Bloggen habe ich viel gelernt und ich versuche so einfach wie nur geht zu bloggen. Bei meinen CMS-Erfahrungsberichten muss ich aber immer wieder Fachbegriffe wie Upgrade, OpenSource, Shell und so weiter verwenden. Ich verwende auch anstelle Shell Kommandozeile wie es heissen müsste. So ist es ja nicht.
Alles in allem beschwere ich mich nicht und es gibt noch viel zu lernen. Die eigene Entwicklung darf nicht stehen bleiben.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Alex,
danke für deinen Kommentar. Wegen der Umgangssprache mach dir mal keine Gedanken. Es geht ja nicht darum, irgendetwas künstlich zu übernehmen, sondern den eigenen Sprachgebrauch in den Text mit einfließen zu lassen. Vielleicht hast du ja sogar noch ein paar Eigenheiten aus deiner Muttersprache behalten – also Sachen, die im Deutschen nicht falsch sind, die man als deutscher Muttersprachler aber vielleicht anders sagen würde. Diese Eigenheiten wären auch eine charmante Möglichkeit, deinen Stil besonders authentisch und unverwechselbar zu machen.
Und ein paar Fachbegriffe sind manchmal unumgänglich, klar.
Viele Grüße
Annika Lamer