Viktorias Handy blinkt auf, eine Nachricht von Per: „Ich bin am Gate, Boarding geht los.“ Zwei Stunden später schreibt Per erneut: „Hab einen schönen Tag!“ Viktoria schreibt zurück: „Bist du schon gelandet?“
Was fällt Ihnen auf? Richtig: Viktorias Antwort entbehrt eigentlich jeder Logik. Wäre Per noch in der Luft, hätte er nicht schreiben können. Und wäre das Flugzeug gar nicht erst gestartet, hätte er das sicher erwähnt.
Neulich habe ich Ihnen gezeigt, wie Sie Schwurbelphrasen entlarven und streichen. Auch im Beitrag Verständlich schreiben ging es darum, überflüssige Elemente aus einem Text zu verbannen. Und doch packt mich oft ein Unwohlsein, wenn ich Tendenzen sehe, einen Text allzu sehr auf Logik und Effizienz auszurichten. Sprache ist nämlich noch viel mehr.
Der Subtext
Warum hat Viktoria diese Nachricht verschickt, obwohl sie doch hätte wissen müssen, dass Per bereits gelandet ist? Weil sie eigentlich etwas anderes ausdrücken wollte. Etwa:
Oh, die Zeit ist verflogen.
Ich bin erleichtert, dass du sicher gelandet bist.
Ich denke an dich.
Es handelt sich um Subtext, den der Empfänger für eine erfolgreiche Kommunikation erst entschlüsseln muss. Und das gehört dazu! Das macht unser Miteinander aus.
Nehmen wir noch ein Beispiel. Per kommt zurück von seinem Trip und sieht verändert aus.
Viktoria: Dein neuer Bart steht dir gut!
Per: Gefällt er dir?
Hat Per etwa nicht zugehört? Schließlich hat Viktoria gerade eben schon gesagt, dass ihr der Bart gefällt.
In Wahrheit könnten zwei Dinge passiert sein. Entweder Per hat sich so sehr über das Kompliment gefreut, dass er es gerne noch einmal hören wollte – fishing for compliments. Oder das Kompliment hat ihn verlegen gemacht, und er schindet mit seiner Nachfrage (unbewusst) Zeit, bevor er adäquat reagieren kann. Er ist also nicht dumm, sondern schlicht menschlich.
Nehmen Sie nicht alles wörtlich
Auch im Business-Kontext passiert es, dass eine Aussage, wenn man sie wörtlich nimmt, nicht so viel Sinn ergibt. In dem Fall sollten Sie nicht gleich schnaubend abwinken, sondern sich fragen: Was wollte mein Gegenüber denn eigentlich ausdrücken?
Zur Verdeutlichung lassen wir Per jetzt mal mit der Firma Victory kommunizieren.
Firma Victory: Eine Kartenzahlung ist leider nicht möglich.
Per: Wieso leider? Ihr habt es euch doch so ausgesucht.
Victory: Wir sind uns bewusst, dass Ihnen das Unannehmlichkeiten bereitet, und das bedauern wir trotz allem.
Firma Victory: Wir machen Urlaub – vielen Dank für Ihr Verständnis.
Per: Wieso setzt ihr einfach mein Verständnis voraus?
Victory: Wir möchten uns bedanken für den Fall, dass Sie dafür Verständnis haben.
Firma Victory: Bleiben Sie gesund.
Per: Ist das ein Befehl oder was? Und sowieso: Ihr wisst doch gar nicht, ob ich gesund bin.
Victory: Wir hoffen einfach, dass möglichst viele Menschen gesund durch die Pandemie kommen. Wunsch ans Universum …
Per wurde hier von den Formulierungen negativ getriggert. Solche negativen Triggerpunkte haben wir vermutlich alle. Doch die Firma Victory hatte bei Ihren Formulierungen gute Absichten. Was wiegt nun schwerer? Sollte Per sich ärgern – oder sollte er einen Schritt zurücktreten und sich sagen: Ok, vielleicht meinten sie es ja doch nur gut?
Sender und Empfänger
Sicherlich liegt es erst einmal in der Verantwortung des Senders, sich so ausdrücken, dass er vom Empfänger verstanden wird. Aber auch der Empfänger trägt einen Teil Verantwortung. Dazu gehört etwa, nicht automatisch das Schlechteste vom Sender anzunehmen.
Sehen Sie daher die Verantwortung nicht allein auf Sender-Seite. Kommunikation besteht immer auf beiden Seiten; beide müssen ihren Teil dazu beitragen.
Die Effizienz-Frage
Bei allem Bemühen um verständliches, effizientes Schreiben: Würden wir nur auf Effizienz ausgerichtet schreiben, würde unsere Sprache, unser Miteinander, würden unsere Emotionen verarmen. Es braucht auch weiche Faktoren in der Sprache – Formulierungen, die für die rein inhaltliche Satzebene gar nicht nötig wären.
Würde ich alles „Überflüssige“ streichen, käme heraus:
Keine Kartenzahlung.
Geschlossen bis (Datum).
„Ich bin am Gate, Boarding geht los.“ – „Bitte bring auf dem Rückweg Brot mit.“
Das wäre zwar effizient, aber eben auch ziemlich kalt.
Fazit: Spread the love
Sprache ist nicht nur Effizienz. Sie ist auch Tanz. Haben Sie daher beim Schreiben keine Scheu vor Sätzen, die für den reinen Inhalt nicht notwendig wären. Und verzeihen Sie es Ihren Mitmenschen, wenn sie sich mal nicht ganz so geschickt ausdrücken. Manche Aussagen machen Umwege oder müssen erst entschlüsselt werden – das gehört dazu. Nachsicht, Empathie und eine positive Grundeinstellung sind dabei die besten Begleiter.
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Sabrina meint
Danke für diesen Beitrag!
Gerade wegen Tools wie der Textanalyse von Wortliga neige ich oft dazu, zu effizient zu schreiben. Und werde ein komisches Bauchgefühl nicht los, dass der Text viel runder sein könnte, obwohl faktisch schon alles gesagt ist.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Sabrina,
das haben Sie schön ausgedrückt! Faktisch ist alles gesagt und doch fehlt etwas – ganz genau.
Viele Grüße
Annika Lamer
Julia meint
Danke schön, liebe Annika für diesen wundervollen Beitrag! Das holt mich aus dem Effizienz-Trip zurück, den ich gerade einschlage. Liebe Grüße ins Schreib-Büro!
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Julia,
lach, na, das freut mich. 🙂
Viele Grüße
Annika