Grammatisch oder grammatikalisch? Um diese beiden Wörter drehte sich das Posting, über das ich vor ungefähr einem Jahr auf Christian Gaschler aufmerksam geworden bin. Christian ist Autor der Bücher Lern mal Deutsch, du Opfer! und Komma klar! und außerdem als Ghostwriter tätig.
Aus unserer Vernetzung entspann sich ein interessanter Austausch. Was ist guter Stil? Und wie bildet man einen eigenen Stil aus? Wäre doch schade, unsere Gedanken dazu nicht mit Ihnen zu teilen.
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Annika:
Christian, wenn wir uns über Stil unterhalten wollen, sitzt wohl noch jemand mit uns am Küchentisch: der Geist von Wolf Schneider, Urgestein der deutschen Stilistik. Spürst du ihn auch?
Christian:
Unbedingt! Seine Präsenz ist eindeutig wahrnehmbar. Außerdem schwebt der gute Wolf Schneider stets über meinen Texten und erinnert mich daran, was einen gelungenen Stil ausmacht. Was hat er dich gelehrt?
Annika:
Die Wahrheit ist: Ich habe ihn nie gelesen. Fachbücher zu wälzen, ist nicht so meins. Am liebsten entwickle ich die Dinge aus mir selbst heraus, aus der Beobachtung. Trotzdem weiß ich, dass Herr Schneider und ich in vielem übereinstimmen – etwa darin, was eine klare Sprache ausmacht.
Christian:
Ich weiß ja, wie du schreibst, und kann bestätigen: Das tut ihr gewiss. Ich habe mich auch erst spät mit seinen Werken befasst, aber nach zwei veröffentlichten Büchern war es dann so weit. Sein Input war Fluch und Segen zugleich. Einerseits wertete ich dadurch meinen Stil auf, andererseits blockierten mich Gedanken wie „Hm, das Adjektiv ist überflüssig!” oder „Muss das Füllwort jetzt wirklich sein?“.
Annika:
Ja, den „perfekten“ Satz hinkriegen zu wollen, blockiert ganz sicher. Mir hilft da der Gedanke: Es muss kein perfekt elaborierter Satz werden – wichtig ist, dass er natürlich klingt.
Zugegeben, es gibt Texte, bei denen jedes Wort sitzen muss, etwa wenn ich Teaser im Kundenauftrag texte. Aber meine Haupt-Textarbeit findet heute im Blog und auf den Social Media statt. Die Freiheit, die ich dort habe, schätze ich sehr. Und glücklicherweise schätzen es auch meine Lesenden, dass meine Texte locker klingen.
Christian:
Da sprichst du einen wertvollen Punkt an – ein guter Stil liest sich locker und natürlich. Wir sind halt keine Roboter!
Hast du bemerkt, welches Wort mir in den Satz hineingerutscht ist? Stilisten wie Wolf Schneider raten, tunlichst auf Füllwörter wie „halt“, „ja“ oder „eigentlich“ zu verzichten, da sie den Text inhaltlich nicht voranbringen würden. Wie stehst du zu solchen „Weichmachern“?
Annika:
Als Wolf Schneider seine Standardwerke verfasst hat, spielten die Social Media noch keine Rolle. Durch sie sind wir heute einen deutlich mündlicheren Tonfall gewohnt. Deshalb kann ein „ja“ oder „eigentlich“ im Text dafür sorgen, dass meine Sätze lebendiger und natürlicher klingen. Aber natürlich kommt es auf die Textart an. Und man muss immer abwägen: Was ist zu viel? Welche Eigenarten nerven schon beim Zuhören – und erst recht beim Lesen?
Wie ist es bei dir: Gibt es solche Kandidaten, die bei dir ein nervöses Augenzucken verursachen?
Christian:
Das stimmt, die sozialen Medien haben viel verändert. Solange sie nicht überhandnehmen, spricht nichts gegen ein paar Weichmacher. Wir lesen eben am liebsten Texte, die sich auch gut anhören, und das war ja sogar ein Tipp von Wolf Schneider: Lies dir deinen Text laut vor, dann weißt du, ob er gut klingt.
Deutlich allergischer reagiere ich auf unnötige Floskeln; mein linkes Auge zuckt regelmäßig bei „ehrlich gesagt“, „offen gestanden“ oder „ehrlicherweise“. Auch die Formulierung „Wie wir alle wissen …” missfällt mir. Wenn wir es doch alle wissen, wozu erwähnt der Autor es dann? Es gibt bessere Einleitungen.
Annika:
Hinterfragen ist ganz wichtig. Bringt das, was ich hier schreibe, den Leser oder die Leserin irgendwie weiter? Damit meine ich nicht nur die inhaltliche Ebene. Ich kann auch jemanden weiterbringen, indem ich ihn zum Schmunzeln bringe oder Nähe zu mir als Verfasserin schaffe. Auf diese Art und Weise kann ich auch mündliche Weichmacher „rechtfertigen“. Nur sollte ich sie eben nicht gedankenlos einsetzen.
Christian:
Du sagst es! Die Zielgruppe entscheidet, ob sie der Text weiterbringt, nicht ich als Autor. Deswegen ergibt es Sinn, dass ich mich im Vorhinein in meine Leser hineinversetze. Wünschen sie sich Humor oder Bierernst? Wollen sie meine Zeilen auf den Punkt serviert bekommen oder bringen sie genügend Zeit für unterhaltsame Exkurse mit? Hierzu fällt mir ein Zitat von Wolf Schneider ein: „Wer schreibt, möchte meistens Leser haben.”
Annika:
Ich seh schon, den Geist von Wolf Schneider werden wir nicht los. Er sitzt hier unruhig auf der Stuhlkante und ergänzt gleich noch das nächste Bonmot: „Einer muss sich plagen – entweder der Schreiber oder der Leser.“ Auf der einen Seite hat er recht. Wenn ich mir keine Mühe gebe, hat nachher der Leser oder die Leserin den Aufwand, meinen Erguss zu entziffern. (Viel wahrscheinlicher ist es allerdings, dass sie den Text gar nicht erst zu Ende lesen.)
Auf der anderen Seite finde ich es wenig motivierend, Schreiben als Plackerei zu betrachten. Mein Hauptaugenmerk ist es immer, die Freude am Schreiben zu vermitteln. Daraus entsteht die tollste Win-Win-Situation überhaupt: Wenn ich beim Schreiben Freude habe, hat sie später auch der Leser oder die Leserin.
Christian:
Das Bild von der Schreib-Plackerei gefällt mir auch nicht. Klar, wir Autoren und Autorinnen plagen uns manchmal, vielleicht weil es nicht unser Tag ist oder wir uns in einem Absatz verfranzt haben. Das gehört dazu, da müssen wir durch.
Insgesamt bereitet mir das Schreiben aber große Freude, denn es ist mein ganz persönlicher Ausdruck – meine DNA in Schrift und Wort, wenn man so will. Wie würdest du deinen individuellen Stil beschreiben? Woran erkenne ich dich wieder, Annika?
Annika:
Den Aspekt des individuellen Stils finde ich sehr spannend. Du hast mir mal gesagt, dass du mich, seitdem du mein Buch gelesen hast, in meinen Postings wiedererkennst. Das hat mich sehr gefreut.
Wie wichtig die eigene Stimme ist, ist mir besonders bei der Arbeit mit meiner Lektorin aufgefallen. Wenn sie mir Formulierungsvorschläge gemacht hat, habe ich die nie übernommen. Ich musste immer mein eigenes Ding machen. Mein Stil ist auf jeden Fall mündlich geprägt, ich schreibe nicht so getragen. („Eigenes Ding machen“ ist ein Beispiel dafür.) Und ich schreibe eher kurz und knapp. Bei dir würde ich sagen, dass du mehr ausholst als ich. Sehe ich das richtig?
Christian:
Haha. Ja, ich bin eine Laberbacke. Ertappt! Mir ist es wichtig, die Hintergründe zu beleuchten; und so kann es durchaus passieren, dass ich gut 300 Wörter benötige, um den orthografischen Unterschied zwischen Joghurt und Jogurt zu erklären. Ohne persönliche Geschichten, Ironie und Humor könnte ich meine Leser wohl nicht bei Laune halten.
Was mir noch zu deinem Stil einfällt: Du benutzt selten Fremdwörter, erklärst sie aber gelegentlich. Erst kürzlich hast du mir in deinem Posting beigebracht, was ein „Epigone“ ist. Besten Dank für die Wortschatzerweiterung!
Annika:
Jetzt hast du mich ertappt – zwei Herzen in meiner Brust! Auf der einen Seite ist es mir wichtig, zum Beispiel grammatische Zusammenhänge ohne komplizierte Fachbegriffe zu erklären. Und ich gebe auch immer den Rat: Schreibt einfach.
Auf der anderen Seite liebe ich das Spiel mit Sprache. Zu diesem Spiel kann auch gehören, sich über ein besonderes Fremdwort zu entzücken. Ich weiß noch, wie mein Exfreund einfach so in einem Satz das Wort „extrapolieren“ benutzt hat. Damit hatte er mich!
Dir geht es ähnlich, oder? Also nicht in Bezug auf meinen Exfreund – ich meine natürlich deine heimliche Vorliebe für Fremdwörter.
Christian:
Soso, du schmilzt also dahin, wenn Männer extrapolieren. Diese Strategie habe ich früher auch regelmäßig angewandt: mit Fremdwörtern Eindruck schinden. Nicht nur in Dates, sondern auch im Beruf. Zum Beispiel habe ich mal in einem Meeting betont, dass ich eine „diametrale“ Meinung vertrete. Ein Kollege führte daraufhin den Begriff „rumgaschlern“ ein – der stand dafür, dass man einen einfachen Sachverhalt mit Fremdwörtern anreichert, damit er möglichst geschwollen daherkommt.
Heute gaschlere ich nicht mehr so viel rum wie früher, wenngleich ich Fremdwörtern noch immer zugetan bin.
Annika:
Es kommt natürlich drauf an, zu welchem Zweck man Fremdwörter benutzt. Ich mag es, wenn Fremdwörter eine zusätzliche Ebene in den Satz bringen – nicht, um zu flexen, wie meine Tochter sagen würde (Jugendsprache für angeben).
„Rumgaschlern“ gefällt mir aber sehr als Wort. Extrapolieren, flexen, rumgaschlern – unsere Sprache hält so viel bereit, wenn man sich darauf einlässt. Deshalb bin ich auch überhaupt keine Sprachhüterin. Sprache muss lebendig sein; sie muss die Fähigkeit haben, neue Impulse aufzunehmen. So schnell geht sie nicht unter.
Christian:
Absolut! Ich liebe unsere Sprache und die Möglichkeiten, die sie uns eröffnet. Sprache darf sich verändern, Schreibstile ebenso. Und doch gelten ein paar unverbindliche Regeln, an die sich Schreibende besser halten, wenn sie viele Leser haben wollen.
Annika:
Welche von diesen unverbindlichen Regeln würdest du besonders hochhalten? Sprich: Wenn du den Lesern und Leserinnen unseres kleinen Schlagabtauschs einen Tipp geben könntest, welcher wäre das?
Christian:
Schreib in erster Linie für deine Zielgruppe. Welchen Stil wünscht sie sich? Verlangt sie, dass du rumgaschlerst, weil sie ihren Wortschatz erweitern möchte? Oder will deine Zielgruppe geflexte Texte lesen? Und anstatt ewig im eigenen Saft zu schmoren, testest du zügig, wie du ankommst. Zum Beispiel kannst du Social-Media-Beiträge veröffentlichen; hier bekommst du direktes Feedback, das dir hilft, dich weiterzuentwickeln.
Annika:
Ins Tun kommen finde ich einen sehr guten Tipp. Den eigenen Stil bildet man vor allem durch eines heraus: durchs Schreiben. Auch Wolf Schneider hier neben uns nickt, aber vielleicht wollte er auch nur eine Fliege verscheuchen. Ich danke dir für das Gespräch!
Unsere Sprachbeobachtungen im Netz
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Außerdem würden mich Ihre Gedanken zu den Stilfragen interessieren, die wir hier angeschnitten haben. Ich freue mich auf Ihren Kommentar!
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Dagmar meint
Liebe Annika,
ist das Zitat „Einer muss sich plagen – entweder der Schreiber oder der Leser“ nicht von Tucholsky? Auf jeden Fall lohnt sich, Tucholskys „Sprache ist eine Waffe“ zu lesen. Manchmal scheint es, als hätte Wolf Schneider daraus abgeschrieben.
Viele Grüße
Dagmar
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Dagmar,
danke für den Literaturtipp! Das Zitat ist aber tatsächlich von Wolf Schneider. Vielleicht hat Tucholsky etwas Ähnliches gesagt?
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Wolfgang Klotz meint
Hallo Team (wie furchtbar …),
ihr habt Autor:innen und Leser:innen im Blick, vergesst aber den/die Auftraggebende(n). Und die/der will meist nur eines: Der Text soll verkaufen. Außerdem: Von schmusigen Füllwörtern und Worthülsen halte ich nichts, sie verlängern unnötig den Text und wir wissen doch, wie wenig Lust die Leute auf Lesen haben. Insbesondere bei werblichen Texten muss der/die Lesende innerhalb weniger Momente eine Antwort auf die Fragen haben: Was habe ich davon, wenn ich weiterlese? Warum ist das gut für mich? Falls das nicht gelingt, ist er/sie weg und schon bei einem anderen Thema.
Dr. Annika Lamer meint
Hallo Herr Klotz,
danke für Ihre Gedanken! Was Sie ansprechen, hat Christian in meinen Augen abgedeckt in seinem Hinweis auf die Zielgruppe:
„Die Zielgruppe entscheidet, ob sie der Text weiterbringt, nicht ich als Autor. Deswegen ergibt es Sinn, dass ich mich im Vorhinein in meine Leser hineinversetze. Wünschen sie sich Humor oder Bierernst? Wollen sie meine Zeilen auf den Punkt serviert bekommen oder bringen sie genügend Zeit für unterhaltsame Exkurse mit?“
Die von Ihnen angesprochenen werblichen Texte sind eine eigene Textart, darauf sind Christian und ich ja gar nicht speziell eingegangen. Ansonsten kann man zum Beispiel auch über Personal Branding verkaufen, indem man unterhaltsame Geschichten erzählt, die nichts direkt mit dem Produkt zu tun haben. Da gibt es einfach viele Wege. Wichtig ist nur: Was will die Zielgruppe? Ich denke, da stimmen wir überein. 🙂
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Wolfgang Klotz meint
Hm.
Gerade hatte ich was geschrieben, und jetzt ist es weg. Anscheinend, weil ich nicht erneut meinen Namen usw. eingegeben habe. Jetzt habe ich keine Zeit mehr, alles erneut einzugeben. Schade für Sie. 🙂
Was mir weichtig ist: Es gibt zwei Zielgruppen. Die wichtigste ist die/der Auftraggebende, denn sie/er zahlt und entscheidet, ob Sie einen Folgeauftrag bekommen. Sie/er muss sich im Text „wiederfinden“ und das bedeutet bisweilen auch Abstriche beim Stil (und bei der Rechtschreibung …). So ist es jedenfalls bei mir in den Bereichen Werbung und Ghostwritung.
Grüße. So, jetzt nicht wieder gleich af Absenden klicken!